Kolumnen von Benedikt Weibel

Cool

"Persönlich" 1. Juni 2013

Der "Blick am Abend" öffnet ab und an ein Fenster ins Seelenleben unserer Jugend. Amüsant ist der Generationentalk mit dem nicht mehr ganz jungen Jürg Ramspeck. Neulich äusserte er sein Unverständnis über das Zürcher Nachtleben und seine obercoolen Jünger. Joelle Weil heisst die junge Frau, die ihm antwortete. Sie erklärt ihm selbstbewusst, wie ihre Generation Coolness züchtet. Geduldig erläutert sie dem älteren Herrn, was eine „supercoole Gästeliste“ ist. "Wir suhlen uns in Coolness" ist ihr Fazit. „Cool“ ist offenbar zum Leitmotiv einer Generation geworden. Deshalb stellen clevere Marketingabteilungen "Coolhunter" ein, um die neusten Trends auf der Strasse aufzuspüren.

Was aber ist denn eigentlich "cool"? Der amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe hat dieser Frage in seinem 2004 erschienenen Roman "Ich bin Charlotte Simmons" ein ganzes langes Kapitel gewidmet. Es ist mit "cool" überschrieben und beginnt mit einem Dialog unter Studierenden. "Du sagst immer ‚cool’, aber was heisst das eigentlich, jemand ist cool?" "Wenn du so was fragst, dann bist du schon mal nicht cool." Im Fortgang des Gesprächs wird ein Konzept des Coolseins entwickelt. Im Kern davon steht die "Selbstbewusstseinstheorie". Cool ist, wer selbstbewusst ist, in Geschmack, Auftreten, Meinungen und Konfrontationen. Das Geheimnis dieses Selbstbewusstsein sei, auf niemanden einen guten Eindruck machen zu wollen. Es helfe dem Coolsein, wenn man gross gewachsen ist und die halbe Woche in der Cybex-Maschine steckt, um sich einen Waschbrettbauch anzutrainieren. Dazu kommen noch weitere Ingredienzen: Ironie, Häme, Zynismus, Nonchalance und vor allem Verachtung für jeden, der nicht cool ist. Der wichtigste gemeinsame Nenner sei Desinteresse. Man könne noch so begeistert sein, beispielsweise von Dickens oder Foucault, aber wenn man cool ist, darf man das nie zeigen. Jemand, der cool ist, könne zwar schon einige Nächte in einer Bibliothek verbringen, sollte sich dabei aber nicht erwischen lassen. Falls man doch gesehen wird, muss man es herunterspielen.

Es folgt ein Dialog über die verschiedenen Fakultäten einer Universität. Da sind sich die Diskutierenden einig. Das coolste aller Fächer sei ohne Zweifel BWL. "BWL ist feuerfest, wenn ihr versteht, was ich meine. Weil es so praxisorientiert ist. Weil man es unter Garantie nicht aus Liebe zur Sache belegt." Ich habe seinerzeit BWL studiert. Soweit ich mich erinnere, war es nicht die Liebe zur Sache, die mich dazu bewogen hat. Heute unterrichte ich BWL an der Universität. Die Studierenden fallen tatsächlich nicht durch besondere Begeisterung für ihr Fach auf. In den Recherchen für mein Buch "Mir nach!" hat sich gezeigt, dass Leidenschaft eine der zentralen Qualitäten für den Führungserfolg ist. Leidenschaft ist so ziemlich das Gegenteil von cool. Man kann nur hoffen, dass sich das Coolsein im reiferen Alter verflüchtigt.

Benedikt Weibel