Kolumnen von Benedikt Weibel
Geschichten erzählen
"Persönlich" 1. April 2013
"Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?" Mit dieser Schlagzeile und dem "scheusslichsten Foto, das sie finden konnten" auf dem Cover wurde 1987 in den New Yorker Daily News auf den Chrysler Chef Lee Iacocca geschossen. Ein Geschworenengericht hatte Anklage gegen Chrysler erhoben, und das Justizministerium forderte eine Busse von 120 Millionen Dollar. Chrysler hatte bei Testfahrten systematisch die Kilometerzähler abgeklemmt und die Wagen als ungefahren verkauft. Einige dieser Fahrzeuge erlitten bei Testfahrten Blechschäden und wurden nach der Reparatur trotzdem als neu verkauft. Iacocca hatte keine Kenntnisse dieser Praktiken. Er entschied, alle reparierten Autos zurückzukaufen. Bei den Wagen, bei denen der Tacho abgeklemmt war, sollte die Garantie um zwei Jahre verlängert werden. Dieses Programm wurde mit Anzeigen in allen Medien bekannt gemacht. Gleichzeitig entschuldigte sich Iacocca persönlich an einer Medienkonferenz. "Ich erklärte, beim Probefahren von Autos den Tachometer abzuklemmen, sei schlicht und einfach blöd. Und fügte hinzu, der Verkauf von beschädigten Autos sei nicht nur blöd, sondern geradezu idiotisch. Ich sagte, das sei unverzeihlich und werde nie wieder vorkommen." Meinungsforscher stellten in der Folge fest, dass die Öffentlichkeit positiv auf das Vorgehen reagierte, "und das einfach, weil ich aufstand und erklärte: Ich habe Mist gebaut. In den Nachwehen der ganzen Aufregung sieht es so aus, als ob sich mein Image und das des Unternehmens bei unseren Kunden verbessert hätte."
Der Psychologe Garry Klein hat über die "Macht von Geschichten" geforscht. Eine gute Geschichte enthält Dramatik, Empathie und Weisheit. Eine gute Geschichte ist plausibel, konsistent, ökonomisch (nicht zu viele Einzelheiten) und einzigartig. Eine gute Geschichte bleibt in der Erinnerung haften. Eine gute Geschichte lässt uns ohne besondere Anstrengungen lernen, und das ist ihr unschätzbarer Wert.
Die alte Story von Lee Iacocca ist eine gute Geschichte. In einer knappen Minute haben wir sie gelesen. Die Geschichte bringt uns zum Nachdenken. Wir vergessen sie nicht mehr. Wir haben alles gelernt, was es über Krisenmanagement zu lernen gibt. Hinstehen und sagen, was Sache ist. Keine Ausflüchte, keine Lügen, keine Schuldzuweisungen, keine Salamitaktik, keine Vertuschungsversuche. Fehler machen ist menschlich. Zu Fehlern stehen ist professionell. Deshalb, und das ist die Moral dieser Geschichte, haben sowohl Chrysler wie Iacocca die Krise nicht nur gut überstanden, sondern gar noch ihr Image verbessert.
Auch Geschichten, wie man es nicht machen soll, haben einen Lerneffekt. Der Nationaltrainer unserer Fussballer ist ein beherrschter Mensch. Es war aussergewöhnlich, dasss er sich zu einem öffentlich gezeigten Stinkfinger hat hinreissen lassen. Der sei gegen ihn selber gerichtet gewesen, hat er erklärt. Das hat ihm immerhin eine Schnitzelbangg an der Basler Fastnacht eingetragen.
Benedikt Weibel