Kolumnen von Benedikt Weibel
Der General und sein Abonnement
"Persönlich" 1. Februar 2013
Das Generalabonnement ist 115 Jahre alt. Bis in die Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts beschränkte sich sein Gültigkeitsbereich auf die Eisenbahn, und selbst da waren, zum grossen Ärger der GA-Abonnenten, nicht alle Linien inbegriffen. 1987 wurde der Bahnmarkt mit dem neuen Halbtaxabonnement zu 100 Franken aufgemischt. "Born to be a Halbtaxler" wurde zu einer der erfolgreichsten Kampagnen in der Schweiz. In kürzester Zeit stieg der Jahresverkauf von 660 000 auf über 2 Millionen Abonnemente. Zu dieser Zeit waren gerade einmal 25 000 Generalabonnemente im Umlauf. Die Kundenorganisationen machten Druck und verlangten, dass auch das GA verbilligt würde. Die SBB verfolgten aber eine andere Strategie und erweiterten stattdessen den Gültigkeitsbereich des Abonnements. Die Postautolinien, die städtischen Verkehrsbetriebe, weitere Buslinien und die "missing links" im Bahnnetz wurden alle integriert. Seitdem ist das GA ein Passepartout für den gesamten öffentlichen Verkehr und ein Renner im Tarifangebot. Heute dürften sich über 400 000 GA's im Umlauf befinden.
Die Marketingidee hinter dem GA ist uralt und weit verbreiet: Saisonkarten für Theater, Skigebiete und Fussball, Bonusprogramme für Flugmeilen, Bücher, Tonträger, Hosen und Kaffees, Flat-Rates, Cumuluskarten, Tageskarten… Immer geht es darum, mit einem Mengenrabatt Anreize für eine hohe Kundenbindung zu schaffen. Das GA geht aber noch weiter. Wer je mit einem GA unterwegs war, erlebt ein neues Gefühl. Entspannendes Reisen ohne Automaten und Schalter, Convenience im besten Sinne des Wortes.
Wer kauft ein GA? In erster Linie der Pendler. Wer zwischen Zürich und Bern pendelt leistet sich bald einmal ein 1. Klasse GA. Bei 200 Arbeitstagen bezahlt er damit pro Kilometer 12 Rappen, allfällige Fahrten in der "Feinverteilung" nicht eingerechnet. Seine Fahrten am Wochenende und in den Ferien sind gratis. Die Rechnung, die wir früher am Skilift gemacht haben, geht auf: er "schlägt sein GA heraus". Die Pendlerin zwischen Solothurn und Bern bezahlt allerdings unter gleichen Bedingungen bereits über 40 Rappen. Für sie geht diese Rechnung nicht auf. Trotzdem kauft sie ein GA 1. Klasse. Was sie nicht "herausschlägt", ist sie bereit, als Convinience-Entschädigung zu bezahlen. Das gilt besonders auch für die Seniorinnen und Senioren. Trotz ihren verbilligten Abonnementen werden sie ein GA kaum je "herausschlagen".
Die Idee des GA's hat seit 115 Jahren nichts von ihrer Genialität eingebüsst. Die Krux ist all die Jahre dieselbe geblieben: die Bestimmung des "richtigen" Preises. Der liegt dort, wo die Summe der Convinience-Entschädigungen die Summe der Rabatte für die "Kilometerfresser" in einem zu definierenden Ausmass übersteigt. Es gibt genügend Daten aus der Marktforschung, um diesen Punkt bestimmen zu können. Eines ist sicher: wenn man diesen Preis auf 10 000 Franken festlegt, wie das einige von Sachkenntnis unbelastete Theoretiker fordern, schlachtet man ein Huhn, das goldene Eier legt.
Benedikt Weibel