Kolumnen von Benedikt Weibel

Otto und Obama

"Persönlich" 1. November 2012

Der Hinschied von Otto Stich hat ein grosses Echo ausgelöst. In allen Kommentaren wurden die aufregenden Tage seiner Wahl rekapituliert. Als Sprengkandidat der Bürgerlichen diente Otto Stich einzig dazu, die offizielle Kandidatin der Sozialdemokratin Lilian Uchtenhagen zu verhindern. Nach seiner Wahl diskutierte die SP Schweiz an einem denkwürdigen Parteitag über den Austritt aus dem Bundesrat. Vor allem die jüngeren Mitglieder wollten in die Opposition. Eine Mehrheit entschied sich aber für den Verbleib in der Regierung. Otto Stich trat sein Amt mit null Kredit an. Er war alles andere als ein Charismatiker. Mit seiner ewigen Pfeife und einer Handtasche, die jeder Mode spottete, glich er eher einem Buchhalter als einem Bundesrat. Auch sein rhetorisches Talent war limitiert. Seine Reden trug er mit leiser Fistelstimme und gleichmässigem Tonfall vor. Und doch begann man ihm immer aufmerksamer zuzuhören. Was er sagte, hatte Substanz. Er bestätigte die alte Weisheit, dass man höchste Aufmerksamkeit erzielt, wenn wichtige Botschaften mit leiser Stimme verkündet werden. Er erarbeitete sich Respekt, weil er eine klare Haltung hatte. Kein PR-Berater hat jemals versucht, ihm ein Image zu verpassen. Er hätte sich auch nie verbiegen lassen. Alles an ihm war echt. Gerade deshalb wurde er bei der Bevölkerung immer beliebter. In jedem der vielen Kommentare nach seinem Hinschied kommt Respekt zum Ausdruck. 'Stur, sturer, Stich', das war der prägnanteste Titel. Er bringt den Regierungsstil des Verstorbenen auf den Punkt.

Ganz anders der Start von Barak Obama. Blendend aussehend packte er mit seiner sonoren Stimme und seiner Energie die Massen. Wer bei seiner Rede nach der Wahl nicht Gänsehaut kriegte, war ein emotionaler Eisblock. Er weckte Hoffnung. Keine Skepsis, keinen Zweifel, nur Zuversicht: yes, we can. Nur heimlich fragte man sich, ob so viel Erwartung nicht zwingend zu Enttäuschung führen müsste. Tatsächlich, der Alltag kam viel zu schnell zurück, und er war brutal. Der Hoffnungsträger wurde zum Realisten, dessen Glanz ebenso so rasch verblasste, wie er gekommen war. Er wird wohl wieder gewählt werden, weil sein Konkurrent sein bester Wahlhelfer ist. Die zweite Amtsperiode wird er mit wenig Erwartungen beginnen. So wird er fast nur gewinnen können.

Die Moral der Geschichte ist offensichtlich. Wer hohe Erwartungen schürt, wird mit höchster Wahrscheinlichkeit verlieren. Wer ohne Vorschusslorbeeren startet, hat eine grosse Chance, zu gewinnen. Der historischen Wahrheit zu Liebe, wollen wir erwähnen, dass Otto Stich auch verloren hat. Er hat einen ebenso langen wie erbitterten Kampf gegen seinen Mitbundesrat Adolf Ogi und dessen Projekt der neuen Alpentransversale geführt. Bei der Finanzierung hatte er Recht. Bei der zweiten Achse durch den Lötschberg, die er vehement bekämpft hat, lag er falsch. Der Lötschberg ist gebaut. Er wird intensiv genutzt und hat das Wallis viel näher an die Üsserschwyz angebunden. Niemand möchte ihn mehr missen.

Benedikt Weibel