Kolumnen von Benedikt Weibel

Wie Wörter wirken

"Persönlich" 1. Oktober 2012

Wer sich mit Fragen der Führung befasst, kommt um die Begriffe Macht, Autorität und Hierarchie nicht herum. Die Entlassung des YB-Trainers Christian Gross hat eine Autoritätsdiskussion ausgelöst. Der Basler Fussballer Benjamin Huggel meinte, die Zeit autoritärer Trainer sei vorbei. Derweilen preist die NZZ den neu ernannten Kapitän von GC, der zur Führungsperson gereift sei und über eine unangestrengte Autorität verfüge. An einem Begräbnis habe ich neulich gehört, der Verstorbene sei eine Autorität gewesen, aber nie autoritär. Die Verhältnisse sind klar: ohne Macht, Autorität und Hierarchie gibt es keine Führung. Trotzdem sind diese Begriffe negativ belegt. Besonders hart urteilen bisweilen Frauen. Macht sei eine männliche Kategorie. Da gehe es vor allem darum, den eigenen Status zu sichern. Frauen hingegen würden Macht als Verantwortung sehen. Ihnen gehe weniger um Macht, als um Einfluss, den sie aufgrund ihrer Autorität besitzen würden. Diese Argumentation ist durchsichtig. Sie ersetzt den angeschlagenen Begriff Macht durch die harmloseren Synonyme Verantwortung und Einfluss. Andere Frauen sehen es anders. Sie erkennen die Unabdingbarkeit der Macht. Das Problem sei, dass viele Frauen ein ambivalentes Verhältnis zur Macht hätten. Man müsse auch als Frau Macht wollen und ausüben. 'Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin.'

Loyalität ist ein anderer Begriff aus dem Führungsarsenal. Er wird als erstrebenswerte Eigenschaft angesehen. Die Herrscher an den Höfen erwarteten von ihrer Entourage bedingungslose Loyalität, die Leistung war weniger wichtig. Kaiserin Maria Theresia hat aus Loyalität ihrem Mann gegenüber ihren unfähigen Armeechef, der dummerweise ihr Schwager war, nicht abgesetzt und damit ihrem Land Schaden zugefügt. Loyalität gegenüber Personen ist eben oft nicht deckungsgleich mit der Loyalität gegenüber der Sache. Es ist erstaunlich, dass ein so zwielichtiger Begriff so unverändert positiv belegt ist.

Das Gegenteil von Hierarchie ist Anarchie. Dieser Begriff war lange Zeit mit Schrecken verbunden. Zu eng waren Anarchie und Bomben miteinander verknüpft. Aber plötzlich änderten sich die Verhältnisse. Managementgurus plädieren für die Abschaffung von Hierarchien. Zu seinem fünfzigsten Todestag wird Hermann Hesse auf der Front des „Spiegel“ als Anarchist bezeichnet. Dazu das passende Zitat: „Und für den Menschen gibt es nur einen natürlichen Standpunkt, nur einen natürlichen Massstab. Es ist der des Eigensinnigen.“ Im verschlafenen Jura Dorf Saint-Imier treffen sich ein paar Tausend Aktivisten zum internationalen Anarchistenkongress. Die mediale Anteilnahme ist erstaunlich gross. Von links bis rechts verbreiten die Medien die anarchistische Vision: keine Hierarchie, keine Armee, kein Staat, kein Privateigentum, kein Gott. Von links bis rechts gleichen sich die Kommentare: zwar schon verschroben und weltfremd, aber doch eigentlich sympathisch.

Anarchie ist wieder salonfähig. Das neue Déodorant von axe heisst Anarchy.

Benedikt Weibel