Kolumnen von Benedikt Weibel

Spazieren, aber nicht zu schnell

"Persönlich" 1. September 2012

Steve Jobs war kein Jogger, überhaupt kein Sportler. Aber er hatte eine Marotte. Knifflige Probleme und Konflikte pflegte er auf Spaziergängen zu lösen. Als ihn sein Biograf für einen Speach an sein Institut einlud, meinte er, er würde lieber einen Spaziergang mit ihm machen, als eine Rede zu halten. Jobs war ein obsessiver Mensch. Beim Spazieren fand er seine Ruhe. Das gemütliche Schlendern erlaubte ihm, ohne Druck nachzudenken, und so wurde manche Idee geboren.

Ist Kreativität eine Gabe oder kann man sie sich aneignen? Darüber wird seit langen Jahren debattiert. Das Magazin schrieb kürzlich darüber. Jede Person sei in der Lage, das Feuer der Kreativität in sich zu entfachen. Auch in diesem Artikel wird das berühmte Beispiel über die Post-it Kleber von 3M erzählt. Spencer Silver war Chemiker bei 3M und sollte einen Superkleber entwickeln. Das Resultat seiner Arbeit war eine Masse mit viel zu schwachen Klebeigenschaften. Sein Kollege Art Fry sang im Kirchenchor. Als er sich wieder einmal ärgerte, als ihm das Lesezeichen aus dem Gesangsbuch gefallen war, erinnerte er sich an die missglückte Erfindung seines Kollegen. So wurde das Post-it geboren. Die Geschichte zeigt zweierlei. Kreativität hat etwas mit Assoziationen zu tun und solche Assoziationen entstehen zufällig. So wie damals, als Henry Ford bei einem Besuch des Schlachthofes in Chicago auf die Idee des Fliessbandes kam. „Bootlegging“ ist eine Methode zur Förderung der Kreativität, die auf dieser Erkenntnis aufbaut. In spontanen, ungesteuerten und hierarchiefreien Diskussionen sollen Ideen geboren werden. Die Mitarbeitenden von 3M verwenden 15 Prozent ihrer Arbeitszeit für Bootlegging.

Der bekannte Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman macht es wie Steve Jobs. Er spaziert täglich sechseinhalb Kilometer, oft zusammen mit Kollegen. Er hat sich seinem Spaziergang wissenschaftlich genähert. Er braucht für einen Kilometer etwas mehr als elf Minuten. Das ist ein gemütliches Tempo ohne jeden Druck, das ihm erlaubt, nachzudenken. Er habe bei diesen Spaziergängen die besten Einfälle seines Lebens gehabt. Wenn er aber für einmal nicht mehr schlendere, sondern einen Schritt zulege, verändere sich sein Erleben. Dann konzentriere er sich auf die Aufrechterhaltung eines hohen Tempos und sei nicht mehr in der Lage, ohne Druck zu nachzudenken. Aufgrund dieser Erfahrungen kommt er zum Schluss, dass die leichte körperliche Aktivierung durch den Spaziergang zu einer grösseren geistigen Agilität führt.

Bootlegging und Spaziergang haben etwas gemeinsam. Es sind Wege, um aus der täglichen Hektik auszubrechen. Der Psychologe Kahn hat aufgezeigt, dass diese Hektik kreativitätshemmend und der geistigen Agilität abträglich ist. Der Spaziergang hingegen ist nicht nur erholsam, er steigert auch die persönliche Effizienz und bringt Ideen in den Kopf. Das ist doch eine grossartige Erkenntnis. Mit so wenig Aufwand wo viel Wirkung!

Benedikt Weibel