Kolumnen von Benedikt Weibel
Jenseits des Röstigrabens
"Persönlich" 1. April 2012
Die Weltwoche hat auf ihre gewohnt subtile Art über die Romandie berichtet. 'Man kann noch so lange suchen und sich durch Zahlen, Statistiken und Tabellen wühlen - eine Studie, bei der die Romands besser abschneiden als die Deutschschweizer, existiert nicht.' Viel Recherche braucht es nicht, um diese Aussage zu kontrieren. Mit 22 Prozent tragen die welschen Kantone substanziell zum Finanzausgleich bei. Aber nur 19 Prozent des Finanzausgleichs gehen in die Romandie. Erhellend auch die Indikatoren über die Dynamik des wirtschaftlichen Wachstums: Jura, Vaud und Genève sind seit 1998 überdurchschnittlich gewachsen.
Wenigstens sprechen wir wieder einmal über die Romandie. Die Vorgänge in der Westschweiz werden nämlich nicht tabuisiert, sondern schlicht nicht wahrgenommen. Kürzlich war ich an einem Anlass in der Romandie. Einer der Vizepräsidenten der ETH Lausanne hat über die Entwicklung der Hochschule gesprochen. Da kamen ein Selbstvertrauen und eine Dynamik zum Ausdruck, wie ich es noch nie von einer Hochschule in der Deutschschweiz erlebt habe. Die Philosophie des Campus, die Architektur, die Zukunftsprojekte, alles ist kühn. Die Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen im Bassin Lémanique und eine enge Verflechtung mit der Industrie sind Selbstverständlichkeiten. Es sei der EPFL gar gelungen, den Stellenwert der technischen Berufe wieder aufzuwerten. Wenn ich das mit der verkrampften Diskussion über die akademische Freiheit in der Deutschschweiz vergleiche, sind das andere Welten. Seit 2000 wird die EPFL von Patrick Aebischer geführt. Selbst in der Suisse Allémanique ist er der bekannteste Präsident einer Hochschule. Im weltweiten Ranking der Hochschulen von Times Eduction ist die Westschweiz überproportional vertreten: auf den ersten 150 Plätzen befinden sich vier Institute aus der Deutschschweiz und drei aus der Westschweiz.
Es gibt noch einen Punkt, in dem sich die Weltwoche irrt. Die Romandie hat sich von der Deutschschweiz emanzipiert. Am Anfang stand der Entscheid der Swissair, den Flughafen Genève aufzugeben. Das führte zu einem riesigen Aufschrei. Man gefiel sich in der bequemen Opferrolle und zelebrierte das Feindbild Zürich. Rasch aber besann man sich eines besseren. Als erstes nahm der Flughafen seine Chance wahr und öffnete seine Gates für andere Airlines. Seit 1998 verdoppelte der Flughafen seine Passagierzahlen. Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Passagiere im Flughafen Zürich nur um einen Viertel zu.
Als Bahnchef hatte ich den Eindruck, dass es in der Schweiz nur Zürich und die Peripherie gibt. Die Ostschweizer pflegen das Bild, dass die Schweiz in Winterthur aufhört und bedauern sich sehr. In der Suisse Romande aber hat sich Selbstmitleid in Selbstbewusstsein gewandelt.
Die EPFL setzt zum nächsten Coup an. Sie entwickelt einen 'kosmischen Altpapiersammler', der den gefährlichen Weltraumschrott einsammeln soll. Diese Nachricht wurde sogar in der Deutschschweiz verbreitet.
Benedikt Weibel