Kolumnen von Benedikt Weibel

Der grösste Coup der PR-Branche

"Persönlich" 1. Oktober 2011

Geschäftsbericht neu zu positionieren und 'demonstrativ bescheiden' aufzutreten. Der Text wurde auf Fakten und sparsame Kommentare konzentriert, der Bildteil auf wenige grobkörnige schwarz-weiss Aufnahmen reduziert. Die Zeiten haben sich danach geändert, und die Geschäftsberichte der SBB wurden wieder farbig.

Das Erstellen eines Geschäftsberichtes ist eine gesetzlich vorgegebene Pflicht. Seine Funktion ist die Rechenschaftsablage, das heisst Darstellung materieller und finanzieller Fakten. Wer heute Informationen über eine Firma sucht, geht aufs Netz und sieht sich zuerst die Geschäftsberichte an. Dabei muss man sich oft mühsam durch eine PR-Sauce wühlen, bis man die Fakten destillieren kann. Es gehört zu den bemerkenswertesten Erfolgen der PR-Branche, dass es ihr gelungen ist, den Geschäftsbericht zu einem PR- Instrument umzupolen. Wer sollte es besser wissen als gerade diese Branche, dass es für Geschäftsberichts-Prosa und all die gestylten Bilder kaum ein Zielpublikum gibt. Die wichtigste Zielgruppe für die PR-Branche sind die immer zahlreicheren Kommunikationsfachleute der Institutionen. Und deren Verwaltungsräte, die für den Geschäftsbericht verantwortlich sind. Nach der Austeritätsphase bei der SBB habe ich erlebt, mit welcher Begeisterung Verwaltungsräte über Fotostrecken diskutiert haben. Einmal war die PR-Sauce so dick, dass man separat zum Geschäftsbericht noch eine Chronik publizieren musste. Dieses Frühjahr hat mir die SBB in verdankenswerter Weise ihren Geschäftbericht zugeschickt, darin war nicht einmal mehr ein Finanzteil vorhanden. Vielleicht hängt das mit einem Paradox in der Kommunikationsarbeit zusammen. Offensichtlich ist kaum etwas so schwer, wie Fakten nüchtern darzustellen.

Wahre Genialität aber beweist die PR-Branche, indem sie nicht nur mit immensem Aufwand (und wohl mit befriedigenden Margen) die Geschäftsberichte erstellt, sondern sie auch gleich noch bewertet. In der gut verlinkten Wirtschaftpresse werden die entsprechenden Ranglisten publiziert und kommentiert. Das ist nichts anderes als eine Qualifikation der Kommunikationsfachleute der Firmen, deren Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte durch ihre Auftragsnehmer. Wer sich auf den hinteren Rängen findet, wird keine Mühe und keinen Aufwand scheuen, aufs nächste Jahr Plätze gut zu machen. An Unterstützung aus der Branche wird es nicht fehlen. Aber wie in jedem Sport, kann es auch hier nie nur Sieger geben. Die Arbeit wird also nie ausgehen.

Im ganzen Kommunikationsmix gibt es kein Instrument, dass ein schlechteres Aufwand- /Nutzen Verhältnis aufweist, als ein aufwändig hergestellter Geschäftsbericht. Angesichts schlechter werdenden Zeiten könnte man sich durchaus überlegen, wieder einmal auf demonstrative Bescheidenheit zu machen.

(PS: Das ist nicht die Sicht eines Verlierers. 2006 belegte die SBB den 1. Rang.)

Benedikt Weibel