Kolumnen von Benedikt Weibel

Geiselhaft-Marketing

"Persönlich" 1. Januar 2012

Szene 1: Die Swisscom telefoniert mir. Ich sei ein treuer Kunde, und das wolle man honorieren. Man werde mir ein spezielles Angebot unterbreiten. Ich erhalte ein Mail und begreife. Ich habe mich zu früh darüber gefreut, dass sich die Swisscom nun endlich um ihre Stammkunden bemüht. Der einzige Zweck der Übung ist, meinen auslaufenden Zweijahresvertrag zu verlängern. Für ein Jahr Verlängerung erhalte ich 40 Gratis SMS, gar 50 sind es, wenn ich um 24 Monate verlängere. Wie grosszügig!

Szene 2: Wieder Swisscom. Der Akku unseres schnurlosen Telefons hat den Geist aufgegeben. Gang in den Swisscom-Shop Nr. 1. Dieser Akku müsse in einem Elektrogeschäft besorgt werden. Gang ins Elektrogeschäft. Nein, diese Akkus führen sie nicht, die seien bei der Swisscom zu besorgen. Gang in den Swisscom-Shop Nr. 2. Der Akku ist an Lager und wird eingebaut.

Szene 3: Ich muss mir wieder einmal eine Patrone für meinen Drucker besorgen. Ich weiss, dass Patronen für Drucker teuer sind, so um die 60 Franken, habe ich im Kopf. Weit gefehlt, 149 Franken - für eine Druckerpatrone und dabei leiste ich mir nicht einmal Farbe.

Szene 4: Auf meinem ipad will ich eine Fernsehsendung nachschauen. Der Computer belehrt mich, dass ich dazu ein Java Script der Version 9 oder aktueller benötige. Aber kein Problem, ich könne das hier herunterladen. Auf meinen Click hin meint der Texter im All: 'Thanks for trying. Unfortunatelly it is not available for your device because of restriction that apple has put in place.'

Ich habe noch den uralten Marketing-Grundsatz im Kopf: 'Alles für den Kunden'. Heute scheint eher das zweiphasige Marketing in Mode zu sein. In der ersten Phase wird der Kunde mit einem Produkt oder einem Vertrag gebunden. Also quasi in Geiselhaft genommen. In der zweiten Phase wird er hemmungslos geschröpft. Dazu kommt noch eine neue Regel: Verwirre den Kunden so weit wie möglich. Wie hat man uns seinerzeit die Segnungen der Liberalisierung ausgemalt. Neue Dienste und alles viel billiger. Und heute? Die Vielfalt von Diensten, Rabatten und Anbietern ist derart unübersehbar, dass Otto Normalverbraucher, also ich, nicht mehr in der Lage bin, auch nur ansatzweise den Überblick zu haben.

Aus beschäftigungspolitischer Optik ist das nicht uninteressant. Wo Intransparenz herrscht, bieten sich neue Geschäftsfelder an: Dienste, welche die Unübersichtlichkeit wieder in Transparenz verwandeln. Wie immer sind wir hier noch etwas langsam. In Deutschland gibt es schon jene Angebote für die Telekommunikations-Kosten- Optimierung. Diese Optimierer leben davon, dass sich die Telekom-Firmen in Geschäftsmodell, Verfügbarkeiten, Service-Zusagen, Qualitätserfahrungen, Tarifen und dem berühmten Kleingedruckten sehr deutlich unterscheiden. Ein Kostenoptimierungsservice preist seine Experten an, die seit Jahren auf dem Gebiet der Kommunikationskosten-Analyse arbeiten. Das sei nicht ganz billig. Lohne sich aber.

Das Lösegeld, um der Geiselhaft zu entkommen, ist erheblich.

Benedikt Weibel