Kolumnen von Benedikt Weibel
Wenigstens höflich
"Persönlich" 1. Juli 2011
Der Zeitgeist meint es nicht gut mit den Intellektuellen, schon gar nicht mit den Philosophen. Schade eigentlich, nachdenken über die Welt kann ja nicht völlig abwegig sein. Habe ich mir auch gesagt und 'Ermutigung zum unzeitgemässen Leben' von André Compte-Sponville zu Gemüte geführt. Der Einstieg erstaunt, setzt der französische Philosoph doch die Höflichkeit an den Anfang seines langen Tugendkanons. Dieser 'Kodex des gesellschaftlichen Lebens' bestimme, was man tue und was man nicht tue und sei Ausdruck der Achtung vor dem Anderen.
Der Philosoph erfüllt seinen Zweck, er hat zum Reflektieren angeregt. Zum Beispiel über die Bedeutung der Höflichkeit für die Stellung einer Person in einem Netzwerk. Natürlich, Höflichkeit ist nur die Form, aber sie kostet nichts. Oft ist sie an der Grenze zwischen Gedankenlosigkeit und Aufmerksamkeit angesiedelt. Aufmerksamkeit signalisiert Respekt und Stil, und das sind imagebildende Merkmale. Zum Beispiel Danke sagen. Man kann darauf verzichten, ein SMS schicken, ein Mail oder eine handgeschriebene Karte. Ersteres ist unaufmerksam und unhöflich, kommt aber immer öfter vor. Letzteres ist ein kleiner Aufwand, der grosse Wirkung erzielt. Je mehr die Handschrift aus dem Verkehr verschwindet, desto überraschender ist ihr Effekt. Ein besonderes Kapitel ist der Mailverkehr. Wer die Form pflegt, verzichtet auf Akronyme, es kostet ja kaum Zeit, Grussformeln auszuschreiben. Eine kleine persönliche Bemerkung schafft Sympathie. Vor allem aber gilt es, im Mailverkehr offensichtliche Unhöflichkeiten zu vermeiden. So formlos ein Mail auch ist, es sind geschriebene Worte, und die wirken langfristig. Man wundert sich immer wieder, wie Menschen über das Mail Unflätigkeiten verbreiten, meist noch mit unzähligen cc’s. Rüppelhaftigkeiten, die man von Angesicht zu Angesicht nie äussern würde.
Das Thema der Höflichkeit ist nicht nur philosophischer Natur, sondern auch ein Geschäftsfeld geworden. Ohne eklatante Defizite ist die Aussage 'gutes Benehmen gehört heute zu den wichtigsten Managerqualitäten' nicht zu erklären. Findige Anbieter machen sich das zu Nutze und bieten gut besuchte Knigge-Kurse für den Management Nachwuchs an. Da wird beispielsweise der Smalltalk geübt. Die wichtigste Regel sei, keine heiklen Themen wie Krankheiten, Tod, Krieg, Politik und Finanzen anzusprechen. Was übrig bleibt ist Unverfängliches wie Hobbys oder Reisen. Da erinnert man sich an die guten alten Zeiten. Damals sprach man von Konversation und man verstand darunter den kritischen, respektvollen und offenen Dialog über relevante Themen. Immerhin, small-talk-themen.de empfiehlt als erste Regel für den Profi- Plauderer 'regelmässig lesen'. Will heissen: Bildung ist immer noch die beste Basis für den anregenden Austausch.
Eine der nützlichsten Anweisungen für den höflichen Umgang findet sich übrigens in der Benediktus-Regel aus dem frühen 6. Jahrhundert: 'Kannst du einem Bruder nichts geben, gebe ihm wenigstens ein freundliches Wort.'
Benedikt Weibel