Kolumnen von Benedikt Weibel
Mobilitätsplanung ohne Panikmache
"Kolumne SEM" 23. Juni 2011
Prosperität heisst Mobilität. Es gibt es auf dieser Welt keine blühende Stadt, in der die Autos ohne Probleme zirkulieren, jederzeit ein Parkplatz vorhanden und im öffentlichen Verkehr ein Sitzplatz garantiert ist. Wer das Gefühl hat, unsere Bahnhöfe seien überfüllt, dem sei empfohlen, einmal in einem Bahnhof in Tokyo zu verweilen, er wird sich nachher über den Raum bei uns wundern. Freuen wir uns über volle Züge und die vielen Menschen in den Bahnhöfen. Genau das ist nämlich die Aufgabe des öffentlichen Verkehrs.
Die Schweiz verfügt über eine hervorragende Verkehrsinfrastruktur. Die Planungen für deren Entwicklung richten sich an den Engpässen aus. Diese sind eine Folge der ausgeprägten Verkehrsspitzen. Die Beseitigung von Engpässen ist enorm teuer und es besteht das Risiko, dass der Engpass verlagert wird. Deshalb sind vor einer Investition alle anderen Möglichkeiten, namentlich die Glättung der Verkehrsspitzen, auszuschöpfen. Dass das möglich ist, zeigte sich an der Euro 2008. In Zürich war die Seeachse gesperrt, und trotzdem lief der Verkehr so gut wie selten. Am Tag des Spiels Frankreich-Italien in Zürich war die A1 so gut befahrbar wie kaum je an einem Freitag. Die SBB führte während der Euro hunderte von Extrazügen, ohne Probleme im übrigen Fahrplan. Es ist heute möglich, mit einem Doppelstockzug bis 1500 Sitzplätze anzubieten, eine gewaltige Steigerung gegenüber heute, ohne einen Franken in die Infrastruktur zu investieren. Und es gilt die Möglichkeiten der Telematik auszuschöpfen, um günstige Off-Peak-Preise anzubieten.
Neben der Problematik der Verkehrsspitzen gibt es zwei weitere grosse Herausforderungen. Die erste ist der Verkehr in den Städten. Die in jeder Hinsicht effizienteste Art, sich in den Städten jenseits der Fussdistanz zu bewegen, ist das Velo. Mit meinem Stromer bin ich in 11 Minuten am Bahnhof, 20 Minuten schneller, als mit dem öffentlichen Verkehr. Selbst eine Megastadt wie London setzt auf die Zukunft des Fahrradverkehrs. Die Herausforderung für die Verkehrsplaner und -Psychologen ist die Optimierung der Zirkulation, das Parkieren von Velos und die Verkehrsdisziplin der Velofahrer.
Die zweite betrifft den Lastwagenverkehr, der auch in Zukunft unaufhaltsam zunehmen wird und immer mehr die Autobahnen blockiert. Hier liegt keine Lösung auf der Hand. Die Bahn (mit Ausnahme des Transitverkehrs) ist - leider - keine Alternative. Die Bahnsysteme in Europa sind für den Personenverkehr konzipiert und lassen einen effizienten Güterverkehr nicht zu. Eine pragmatische Lösung könnte eine (dritte) separate Lastwagenspur auf der Autobahn sein. Radikaler sind die Denkansätze, die den Güterverkehr unterirdisch führen wollen. Ob sich die immensen Investitionen in ein völlig neues Verkehrssystem rechnen, sollen Machbarkeitsstudien zeigen.
Wenn wir über den Tellerrand schauen, sind unsere Verkehrsprobleme idyllisch. Es gibt nirgendwo ein besseres Gesamtsystem öffentlicher Verkehr. Dafür bezahlen wir einen stolzen Preis. Jede künftige Investition bewirkt massive Folgekosten. Ihre Grenzkosten und -Nutzen müssen in jedem Fall einer knallharten Prüfung unterzogen werden.
Benedikt Weibel