Kolumnen von Benedikt Weibel

Fussball zwischen Himmel und Hölle

"Sonntag" 4. September 2011

Die Nachricht: Seitdem die Rundschau vom 24. August schockierende Bilder über die Gewalteskalation beim Fussballspiel Luzern gegen Basel gezeigt hat, bricht die Diskussion über Gewalt im Fussball nicht ab. Just in diesem Moment, wo die Probleme derart eskalieren, wurde der 'runde Tisch', an dem alle Beteiligten nach Lösungen suchten, aufgelöst.

Der Kommentar: Am dritten Tag der EURO 2008 spielte Holland gegen Italien in Bern. Schon am Morgen war die Stadt von orangen Fans überschwemmt. Die Stimmung war unbeschreiblich. Eine so unbeschwerte, kreative Fröhlichkeit hat die Stadt noch nie erlebt, selbst die ärgsten Fussballmuffel liessen sich davon anstecken. Am Abend spielte Holland grossartig auf und deklassierte Italien 3:0. Ich marschierte mit den Fans zurück in die Stadt. Die Holländer waren noch fröhlicher als am Morgen, aber sie trösteten die geschlagenen Italien-Fans. Ein Polizist meinte: 'Unglaublich, diese Holländer, so besoffen und trotzdem anständig.' Überall waren Stände aufgebaut, Musiken spielten und die ganze Bevölkerung war auf der Strasse. Und immer wieder hörte ich dasselbe: 'Dass wir das erleben können. Weil nach jedem YB Match haben wir nur Lämpen.'

Das ist Fussball, wie wir ihn lieben. Die EURO hat uns eines gezeigt: Es ist möglich, diese immensen Emotionen fröhlich und ohne irgendwelche Exzesse auszuleben.

Jetzt wird wieder ein anderer Film gespielt. Wieder einmal sind alle schockiert und fragen sich, wie man dieser unheilvollen Entwicklung begegnen sollte. Die Fussballfunktionäre haben sich eine bequeme Argumentation zurecht gelegt: 'Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem. Wir tun alles dagegen, was wir können, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt.' Ein Fanvertreter bemühte im 'Club' gar noch politische Motive der Fans. Dabei hat eine deutsche Studie gezeigt, dass Arbeitslosigkeit und fehlende Freizeitangebote keine entscheidende Bedeutung für die Gewaltbereitschaft im Fussball haben. Zwei ausgewiesene Kenner der Szene haben das Phänomen bereits vor längerer Zeit umfassend analysiert. Simon Kuper im Buch 'Football against the Enemy', Bill Buford in 'Geil auf Gewalt'. Diese Titel sagen alles. Für den hartgesottenen Fan ist der Gegner seiner Mannnschaft ein Feind, der gehasst wird. Und Gewalt in allen Formen ist geil. Dazu kommt die Einbettung in eine Masse Gleichgesinnter. Diese Massen anonymisieren, sie enthemmen und deshalb ist die Behauptung, Gewalt gehe nur von wenigen 'Chaoten' aus, falsch.

Die Schlussfolgerung ist glasklar: Der Fussball generiert diese Probleme zum grössten Teil selber. Und deshalb trägt er die Verantwortung für die Vorfälle in- und ausserhalb der Stadien. Wenn der Fussball nicht endlich anerkennt, dass er ein fundamentales Problem hat, wird sich die Wende nicht einstellen Fussball hat heute eine immense Bedeutung. Aber die ewiggleichen Geschehnisse nagen an seinem Image und wirken sich auch kommerziell aus. Vier Jahre lang wurde am 'runden Tisch' schwarzer Peter gespielt. Wie übrigens auch im 'Club' von dieser Woche. Es ist höchste Zeit, dass der Hauptverantwortliche das Heft in die Hand nimmt. Die Kantone und die Polizei werden dankbar sein, wenn aus dem Gegeneinander ein Miteinander wird. Und die Öffentlichkeit wird applaudieren.

Natürlich gibt es kein Wundermittel. Natürlich kann man die Probleme nicht einfach zum Verschwinden bringen. Aber eine Trendwende ist möglich. Dazu braucht es ein Bündel an Massnahmen in den Bereichen Prävention, Selbstkontrolle und Repression. Der stärkste Anreiz ist immer das Geld. Das Bundesgericht hat im 'Xamax-Urteil' die Rechtmässigkeit einer Kostenbeteiligung der Clubs bestätigt. Der Kantonsrat Zug hat beschlossen, dass der Hockeyclub EV Zug 60 Prozent der Sicherheitskosten bezahlen muss. Nur wenn die Clubs in der finanziellen Pflicht sind, haben sie ein Interesse, die Probleme in den Griff zu kriegen.

Wir wollen den Fussball wieder unbeschwert und fröhlich zelebrieren!

Benedikt Weibel