Kolumnen von Benedikt Weibel
Schwarze Schwäne
"Swiss Equity Magazin" 4/11
In seinem epochalen Werk 'Vom Kriege' hat sich der preussische General Carl von Clausewitz mit dem 'Nebel der Ungewissheit' auseinandergesetzt. Die Zukunft hänge von den eigenen Entscheidungen, den Entscheidungen des Gegners und den äusseren Umständen, wie zum Beispiel der Witterung ab. Sie sei grundsätzlich nicht vorhersehbar. Deshalb müsse man sich auf alle denkbaren Möglichkeiten vorbereiten, denn 'je genauer und klüger man plant, desto gründlicher wird man scheitern.'
Die Metapher vom schwarzen Schwan stammt vom Erkenntnistheoretiker Karl R. Popper. Die Aussage 'alle Schwäne sind weiss' hatte solange universelle Gültigkeit, bis der erste schwarze Schwan gesichtet wurde. Damit wurde ein bestehendes Weltbild zerstört. Deshalb folgert Popper, solle man Hypothesen nicht verifizieren, sondern zu falsifizieren versuchen. Je mehr derartige Versuche scheiterten, desto grösser sei die Wahrscheinlichkeit ihrer Gültigkeit.
Nicolas N. Taleb meint in seinem Bestseller 'Der Schwarze Schwan', Poppers grösster Gedanke sei die Erkenntnis hinsichtlich der fundamentalen Unvorhersehbarkeit der Welt. 'Das Normale ist oft ohne Bedeutung. Nahezu alles im sozialen Leben wird durch die seltenen, aber folgenschweren Erschütterungen und Sprünge hervorgerufen.' Das, was wir nicht wissen, sei beutungsvoller als das, was wir wissen. Zwischen dem 'known unknown' und dem 'unknown unknown'(dem schwarzen Schwan) gibt es einen fundamentalen Unterschied: Auf Ersteres kann man sich vorbereiten, Letzteres lässt nur die Improvisation übrig.
Ein schwarzer Schwan war im letzten Jahr der Vulkanausbruch in Island. Nicht so die Explosion der Erdölplattform im Golf von Mexiko, denn in der Vergangenheit haben sich bereits Explosionen von Plattformen ereignet. Offensichtlich war ein solches Ereignis nicht auf dem Radar des Riskomanagements von BP. Und deshalb wurde über Monate improvisiert. Ähnlich in Japan. Dort wurde ein Erdbeben auf Stufe 8.2 auf der Richterskala als grösstes Risiko angenommen, obwohl sich bereits Erdbeben auf der Stufe 9 ereignet haben. Das Beben vom 11. März war 16 Mal stärker als der schlimmste angenommene Risikofall. Das hat die Japaner, diese Grossmeister der Qualität und der Vorbereitung zum Improvisieren gezwungen, was wohl nicht ihre ausgesprochene Stärke ist. Der schwarze Schwan von Fukushima ist nicht die Verkettung von Erdbeben, Tsunami und AKW, sondern die Tatsache, dass ausgerechnet das Hochtechnologieland Japan das Restrisiko eines AKW’s nicht beherrscht.
Fuskushima hat die Natur dieses Restrisikos so brutal aufgezeigt, dass die Deutsche Bundeskanzlerin (und Physikerin) am 11. März als Atomkraftbefürworterin aufgewacht ist und in der Nacht als Atomkraftgegnerin zu Bett ging, wie der 'Spiegel' vermeldete. Die Folgen der Katastrophe sind unabsehbar und überschreiten in ihrer flächenmässigen, zeitlichen und finanziellen Dimension alles bisher Vorstellbare.
'Der Mensch lernt vor allem durch Scheitern' war eine Headline nach der nuklearen Katastrophe. Wenn die Ereignisse in Japan dazu führen, in Zukunft mit der Welt und ihren Ressourcen vernünftiger umzugehen, ist das ein tröstlicher Gedanke.
Benedikt Weibel