Kolumnen von Benedikt Weibel
Die Erfolgsformel
"Persönlich" 1. Juni 2011
Bienvenue chez les Ch’tis ist der erfolgreichste französische Film aller Zeiten. Kein Mensch hat bei seiner Lancierung auch nur in Ansätzen an eine Erfolgsstory dieser Dimension gedacht. Malcolm Gladwell erzählt in seinem Buch 'Der Tipping Point', wie und warum die altbackene, klinisch tote Schuhmarke Hush Puppies aus dem Nichts wieder zum grossen Renner wurde.
Seit Jahrzehnten suchen Wissenschafter, Marketingspezialisten und unzählige Gurus nach der ultimativen Erfolgsformel. Die erste Firma, die sämtliche Register einsetzte, um den Markterfolg herbei zu zwingen, war Ford. In den1950er Jahre wurde mit enormem Aufwand untersucht, was der Kunde wirklich will: Tiefeninterviews, Psycho-Tests, Studien von Demografie-Experten, Vorhersagen über künftige Einkommensverhältnisse, das Befinden des Mittelstandes. 100'000 Dollar, damals eine sehr beträchtliche Summe, kosteten die Analysen. Ein Top-Designer entwarf ein Auto, das sich deutlich von der Masse unterschied. Elegant wie ein Italiener, mit einem einmaligen Kühlergrill, nicht endlos breit, sondern schmal und vertikal. Der Ford Edsel wurde wirklich ein Auto wie kein anderes, mit einem Tacho 'wie eine fliegende Untertasse', Gangschaltung mit Teletouch-Tasten-Automatik, Rückleuchten wie Katzenaugen und einem Motor mit über 300 PS. Neue Fertigungsanlagen und ein exklusives Händlernetz mit 1'500 Vertretern wurden eigens für das neue Modell aufgebaut. Die Kommunikations- und PR-Kampagne zur Einführung war beispiellos und kostete 10 Mio Dollar. Die Presse wurde manipuliert, indem man gezielt Details durchsickern liess. Die Fernsehanstalt CBS produzierte eine 'Edsel-Show' mit Bing Crosby, Frank Sinatra und Louis Armstrong. Bei der ersten Präsentation wurde noch spontan applaudiert, aber plötzlich kippte die öffentliche Meinung. Der Kühlergrill, vorher noch als Stilikone applaudiert, wurde zum Negativsymbol. Er gleiche einem Oldsmobile, der an einer Zitrone saugt oder einem Toilettensitz. Der Edsel wurde zum totalen Flop und der Fall gilt heute als Beispiel für grandioses Versagen wissenschaftlicher Marktforschung.
In Blindtests zeigte sich immer wieder, dass Pepsy Cola gegenüber Coca Cola vom Geschmack her die Nase vorn hatte. Deshalb wurde 1986 das berühmte Geheimrezept von Coca Cola geringfügig verändert. New Coke wurde mit enormem Marketingaufwand auf den US-Markt gebracht und erlebte ein totales Desaster. Von Red Bull, sagt man, es sei in allen Geschmacktests durchgefallen. Dietrich Mateschitz habe es gegen den Rat der Marketingexperte trotzdem lanciert und zum Welterfolg gepusht.
Diese Geschichten sind tröstlich. Die Erfolgsformel existiert nicht. All die Wissenschaft, Marketing, Propaganda und noch so viel Geld sind keine Erfolgsgaranten. Intuition spielt eine entscheidende Rolle, aber auch der Zufall. Deshalb sagen viele gescheite Köpfe: Weniger Analyse - mehr Trial and Error.
Von Henry Ford, übrigens, ist das Bonmot überliefert: 'Hätte ich die Leute gefragt, was sie wollen, dann hätten sie gesagt: Schnellere Pferde...'
Benedikt Weibel