Kolumnen von Benedikt Weibel
'Versteits d Frou Abgottspon?'
"Persönlich" 1. Mai 2011
Die Geschichte hat mir ein ehemaliger Kassensturzmoderator erzählt. Begeistert von der Qualität ihrer Sendungen hätten sie an einem Drehtag im Wallis Frau Abgottspon getroffen, welche ihnen ins Gesicht gesagt habe, ihr intellektuelles Geschwafel verstünde man nicht. Seither sei die virtuelle Frau Abgottspon zum Massstab für ihre Sendungen geworden.
Das ist lange her. In den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts war es in den progressiven Kreisen ein absolutes Muss, eine intellektuelle Sprache mit extrem verschachteltem Satzbau und möglichst vielen Fremd- und Modewörtern zu pflegen. Damit grenzte man sich gegen aussen ab. Dass man auch im inneren Kreis kaum verstanden wurde, spielte keine Rolle, im Gegenteil, das erhöhte die Reputation. Gar so viel hat sich bis heute nicht geändert. An den Businessschulen, Fachausbildungen und -Tagungen eignet man sich einen Slang an, der einen als Insider ausweist. Folge davon ist, dass es vielen Protagonisten nicht gelingt, ihre Sprache an die Zielgruppe anzupassen. Es ist nun Mal ein Unterschied, ob man an einer Marketing- Fachtagung oder an einem Kundenanlass spricht. Wer vor seinen Kundinnen wiederholt vom 'Paradigmawechsel' spricht, verwendet just eines dieser Wörter. Vor Jahrzehnten haben wir damit renommiert, um unsere Intellektualität zu demonstrieren. Was aber denkt sich heute Frau Abgottspon dabei? Im Zeitalter des Neuromarketing wissen wir, dass die alte Weisheit, ein Bild sei viel wirksamer als Worte, so allgemein nicht gilt. Den grössten Nachhall in den Gehirnen bewirken Worte, die Bilder vor dem inneren Auge bewirken. 'Hammer' löst etwas aus, 'Paradigmawechsel' erzeugt höchstens Abwehr. Überhaupt sind abstrakte Worte in der Kommunikation ein Problem. Die Wirkung ist eine völlig andere, ob ich von der Etappierung eines Projektes oder von einem Baukasten, dessen Teile einzeln realisiert werden können, spreche. 'Die abstrakte Sprache ist die Sprache aller Politiker, Bürokraten, Diplomaten, Banker und Versicherer', schreibt Armin Reins in 'Corporate Language'.
Dabei ist die Logik zwingend: Wahrnehmung ist Realität. Wahrnehmung erfolgt über Kommunikation. Kommunikation wirkt dann, wenn sie verstanden wird. Verstanden werden wir, wenn wir in kurzen Sätzen, mit möglichst wenig abstrakten Worten, mit eingängigen Substantiven und Verben, mit guten Bildern und Geschichten sprechen.
Zum Beispiel mit dem Bild des schwarze Schwans. Die Methapher stammt vom grossen Erkenntnistheoretiker Karl R. Popper. Sie illustriert, wie das Weltbild 'alle Schwäne sind weiss' durch einen einzigen schwarzen Schwan zerstört wird. Nassim Taleb hat unter diesem Titel ein geradezu prophetisches Buch geschrieben. Der schwarze Schwan dieses Frühlings ist die Erkenntnis, dass eine führende Technologienation das Restrisiko der Atomkraft nicht beherrscht.
Dieses Bild versteht Frau Abgottspon und macht sich Gedanken über die künftige Energiepolitik.
Benedikt Weibel