Kolumnen von Benedikt Weibel
Wider die Fehlerkultur
"Persönlich" 1. Oktober 2010
Immer wieder höre ich, man müsse ein Arbeitsklima schaffen, in welchem Fehler zugelassen seien. Dabei sei mit Fehlern konstruktiv umzugehen, und so würde eine eigentliche Fehlerkultur entstehen. Während meiner langen Jahre bei der Bahn habe ich gelernt, dass ein einzelner Fehler fatale Folgen haben kann. Ein Lokomotivführer, welcher ein rotes Signal überfährt, gefährdet unter Umständen Menschenleben. Da kriegt das Wort 'Fehlerkultur' einen fatalen Beigeschmack. Es kann ja nicht darum gehen, einen Lokomotivführer zu ermuntern, Fehler zu machen. Im Gegenteil, im Grundsatz sind Fehler absolut zu vermeiden. Tatsache ist aber, dass sie vorkommen und tatsächlich ist der Umgang damit entscheidend. Früher war die erste Reaktion auf ein Vorkommnis eine disziplinarische Untersuchung. Heute wird der Aspekt vielmehr darauf gelegt, die Lehren aus dem Vorfall zu ziehen. Deshalb sollten wir den Begriff 'Fehlerkultur' aus unserem Vokabular streichen und durch 'Lernkultur' ersetzen.
Unsere Managementwelt lässt sich in zwei Teile gliedern: Den Teil 'geordnete Regelkreise', durch Kontinuität geprägt und mit dem Ziel, Perfektion zu erreichen. Hier sind beispielsweise die Lokomotivführer tätig. Es ist alles zu unternehmen, um Fehler zu vermeiden. Wenn sie trotzdem geschehen, ist das eine Chance, daraus zu lernen und den Prozess zu verbessern. Der andere Teil im Management spielt sich im 'Nebel der Ungewissheit' ab. Dieser illustrative Begriff stammt vom grossen Strategen Carl von Clausewitz und basiert auf der Erkenntnis, dass die Möglichkeiten der Planung in einer komplexen Welt eingeschränkt sind. 'Je genauer und klüger man plant desto wahrscheinlicher scheitert man...' hat er vor fast 200 Jahren geschrieben. Wie richtig ist diese Aussage erst in der heutigen, ungleich komplexeren Welt. Ausgehend von dieser Erkenntnis ist in vielen Fällen ein Vorgehen gemäss 'Trial and Error' die beste Handlungsweise. 'Probieren geht über studieren' sagt der Volksmund. Das schliesst aber zwingend die Möglichkeit des Scheiterns ein. Man muss sich beim Trial and Error immer bewusst sein, dass Misserfolge wahrscheinlich sind. Aber oft ist gerade das Scheitern ein entscheidender Motor des Fortschritts. Und hier liegt das wahre Problem unserer europäischen Kultur: Scheitern wird noch immer als Stigma wahrgenommen. Nassim Nicholas Taleb beschreibt das in seinem Bestseller 'Der Schwarze Schwan': 'Dass ich mich in Amerika sofort heimisch fühlte, liegt gerade daran, dass die dortige Kultur zum Scheitern ermutigt. Im Gegensatz zu den Kulturen in Europa und Asien, wo Misserfolg gebrandmarkt wird und als peinlich gilt.'
Von Konfuzius stammt die Einsicht, dass auf drei Arten gelernt werden kann: Durch Kopieren, das ist der leichteste Weg. Durch Nachdenken, das ist der edelste Weg. Und durch Erfahrung, das ist der bitterste Weg. Bitter, weil dieser Weg unweigerlich über Misserfolge führt. Dafür ist kein Lernprozess effektiver.
Benedikt Weibel