Kolumnen von Benedikt Weibel
Wechsel in der WG
"Sonntag" 26. September 2010
Die Nachricht: Nach einer intensiven Kandidatinnen- und Kandidatenkür ist die Schweizer Regierung wieder komplett. Entgegen der allgemeinen Erfahrung haben sich mit Simonetta Sommaruga und Johann Schneider-Ammann die Favoriten der ersten Stunde durchgesetzt. Mit Jean-François Rime hat sich ein in vielen Landesteilen bisher unbekannter Politiker innert kürzester Zeit als Politiker mit Substanz, Kommuniktionstalent und Humor positioniert.
Der Kommentar: Die Bundesratswahlen boten dem 'Spiegel' wieder einmal Anlass, den Deutschen die Schweizer Demokratie zu erklären. Mit dem unverkennbaren Hinterton allerdings, es sei einem Aussenstehender kaum möglich, in die Geheimnisse helvetischer Politik einzudringen. Er verwendet denn auch ein provokatives Bild, um die Wahl in die 'seltsamste Regierung Europas' zu illustrieren: 'Es ist ein wenig, als würden in eine TV-Soap neue Hauptfiguren Einzug halten. Die Schweizer Regierung hat ja auch etwas von einer WG...' Wieder ernsthaft meint der Kommentator, die Schweiz sei eben ein Land, dessen Verfassung Machtballungen verhindern wolle. Vielleicht hat er damit gerade einen Kern des schweizerischen Erfolgsmodells getroffen.
Der Wahlkrimi ohne Überraschungen hat einige erstaunliche Erkenntnisse gebracht. Entgegen den Unkenrufen, die Qualität des politischen Personals sinke unablässig, ist ein hochkarätiges Kandidatinnen- und Kandidatenfeld zusammen gekommen. Es ist den Medien und Parteien nicht anzulasten, dass sie die Spannung etwas künstlich hochgehalten haben. Es sei ihnen aber dafür gedankt, dass sie keine Schlammschlachten angezettelt haben. Das Erstaunlichste an diesem Wahlkampf war die Unaufgeregtheit, mit welcher die Geschlechterfrage behandelt wurde. Frau sein ist, per se, kein Qualitätsmerkmal, genau so wenig wie Mann sein, per se, für Qualität bürgt. Entscheidend ist allein und unabhängig vom Geschlecht die Kompetenz . Das ist der entscheidende Schritt in der Gleichberechtigungsbewegung, nicht die Frauenmehrheit im Bundesrat. Wir können in diesem Zusammenhang noch anfügen, dass es in diesem Jahr eine Freude war, sich von unserer Bundespräsidentin auf der Weltbühne vertreten zu lassen. Was sich in Sachen Gleichberechtigung in der Politik vollzogen hat, dem wird sich auch die Wirtschaft nicht entziehen können. Zu guter letzt wurde in diesen Tagen die These widerlegt, der Milizcharakter unseres Parlamentes sei bloss noch eine Fiktion, faktisch seien in Bern nur noch Berufspolitiker am Werk. Zwei der fünf offiziellen Kandidatinnen und Kandidaten sind erfolgreiche Unternehmer. Es ist ein gutes Zeichen, dass einer von ihnen in die Regierung einzieht und dort seine breite und internationale Erfahrung einbringen kann.
Die Ausgangslage ist für die neue Regierung günstig. Der Bundesrat hat in der letzten Zeit immer wieder das Bild eines zerstrittenen und zänkerischen Gremiums gemacht. Es braucht in der neuen personellen Konstellation nicht viel Anstrengung, um diesen Eindruck zu korrigieren. Was das Volk von seiner Regierung will, ist ein Mindestmass an Geschlossenheit. Die Bundesrätinnen und Bundesräte haben es nun in der Hand, zu zeigen, dass es nicht um Systemfragen geht, sondern um die Personen, welche sich in diesem System bewegen. So könnte man auch einmal die unendliche Geschichte um eine Regierungsreform schicklich beerdigen. Die dadurch frei gespielte Zeit und Energie kann dem Thema 'gouverner c’est prévoir' gewidmet werden.
Zum Abschluss gestatten wir uns, der neuen Regierung einen praktischen Ratschlag mit auf den Weg zu geben. Wenn Sie nach einer konstruktiven Sitzung die Departemente verteilt haben, sagen Sie alle zusammen ganz laut: 'Wir sorgen dafür, dass keine Mitberichte mehr an die Medien gesandt werden.'
Benedikt Weibel