Kolumnen von Benedikt Weibel
In den Hundstagen Ökonomie lernen
"Persönlich" 1. September 2010
Der Tag war unglaublich heiss und schwül, der Durst plagte uns und nur mit Mühe konnten wir noch schlucken. Als endlich das Weissbier vor uns stand, wunderbar kühl, mit Zitronenschnitz und beschlagenem Glas, habe ich meinen Söhnen das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens erklärt. Der erste, tiefe Schluck ist in diesem einen Moment der grösste vorstellbare Genuss. Mit jedem weiteren Schluck aber nimmt der zusätzliche Nutzen ab und irgendwann wirkt das beste Bier schal. Dieses Gesetz des abnehmenden Grenznutzens hat universelle Geltung. Wenn beispielsweise die erste Etappe von Bahn 2000 6 Mrd Franken gekostet hat, muss gemäss dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens eine weitere Etappe (Bahn 2030 oder wie sie auch immer genannt wird), weniger kosten. Wer gegen dieses Prinzip verstösst (und das tun so quasi alle heute vorliegenden Vorschläge), wird eine saftige Rechnung zu zahlen haben.
Eine andere ökonomische Tatsache sollte man nie vergessen: Das Bedürfnis ist die Nachfrage beim Preis Null. Diese Definition lehrt uns, dass es nie das Ziel wirtschaftlichen Handels sein kann, Bedürfnisse tout court zu befriedigen, sondern die Nachfrage so zu bedienen, dass eine optimale Marge erzielt wird. Deshalb wird in der Luftfahrt nicht die Maximierung der Sitzplatzbreite und -Abstände erwogen (wie es meinem Bedürfnis entsprechen würde), sondern die Einführung von Stehplätzen. Zwar ist es immer noch möglich, in Europa für einen saftigen Aufpreis Businessclass zu fliegen. Das Verhältnis zwischen Grenzkosten und Grenznutzen ist aber derart ungünstig, dass die Nachfrage permanent abnimmt und nun die Abschaffung dieser Klasse erwogen wird. Kehren wir nochmals zur Bahn zurück. Natürlich gibt es ein Bedürfnis nach Hochgeschwindigkeitszügen in der Schweiz. Wer möchte nicht in 30 Minuten von Zürich nach Bern pendeln? Die zentrale Frage stellt sich aber ganz anders: Wer ist bereit, in einem Markt, in dem die Bahn schon einen Marktanteil von gegen 90 Prozent aufweist, eine Investition von 10 Mrd Franken (Basis: 55 Kilometer neue Strecke gemäss dem geschätzten Kilometerpreis für den NEAT Südanschluss) zu bedienen? Für einen ökonomisch sinnvollen Hochgeschwindigkeitsverkehr mit der Bahn sind erhebliche Distanzen und grosse Bevölkerungskonzentrationen unabdingbar. Es ist offensichtlich, dass in der Schweiz weder das eine noch das andere vorhanden sind.
Es ist auffallend, wie oft technische Wunderlösungen präsentiert und verfochten werden, ohne dass sich die Protagonisten auch nur im mindesten um ökonomische Sachverhalte kümmern. Schlimmer noch, für diese Technofreaks und ist die 'Ökonomisierung' ein Grundübel unserer Zeit, welches dem wirklichen Fortschritt im Wege steht. Die Lektion 'der Markt hat immer Recht' haben sie nie gelernt. Mögen die heissen Sommertage dazu beigetragen haben, einige unumstössliche ökonomische Realitäten zu verinnerlichen.
Benedikt Weibel