Kolumnen von Benedikt Weibel
Der Commis de l’Etat stirbt aus
"Sonntag" 18. Juli 2010
Die Nachricht: In den Kommentaren zum Rücktritt von Bundesrat Moritz Leuenberger war zu vernehmen, dass demnächst auch sein Generalsekretär Hans Werder pensioniert wird. Kürzlich ist mit dem ehemaligen Direktor der Finanzverwaltung Peter Siegenthaler ein anderer einflussreicher Spitzenbeamter zurückgetreten.
Der Kommentar: Hans Werder war während der gesamten Regierungszeit die rechte Hand von Bundesrat Leuenberger. Er spielt im UVEK eine immens wichtige Rolle, hält sämtliche Fäden in seiner Hand, ist stets disponibel und sein Einsatz fast grenzenlos. Das Verhältnis mit seinem Departementschef gleicht der Beziehung eines CEO mit seinem Verwaltungsratspräsidenten in der Wirtschaft. Eine ideale Konstellation, welche einem Bundesrat die Möglichkeit gibt, sich auf die wesentlichen Fragten zu konzentrieren. Das ist möglicherweise effizienter als all die Vorschläge für eine Regierungsform, die bis heute auf dem Tisch liegen. Mit einem solchen Modell müssten weder zusätzliche Minister noch Staatssekretäre angestellt werden. Bedingung wäre allerdings, dass das hochqualifizierte Personal vom Format des Generalsekretärs des UVEK auch zur Verfügung steht.
Leider sind aber Leute wie Hans Werder in der Beamtenschaft am Aussterben. In der Weltsprache der Diplomatie nennt man diese hohen Staatsfunktionäre voller Achtung 'Commis de l’Etat'. Ein anderer Spitzenbeamter von dieser Qualität war Peter Siegenthaler. Er hat in zwei der grössten Krisen im Lande eine entscheidende Rolle gespielt: Beim Swissair Grounding und bei der Bankenkrise. Auch er ist unlängst aus dem Bundesdienst ausgeschieden. Noch im Amt, aber auch nicht mehr für lange, ist Jean-Daniel Gerber, Staatssekretär im Staatssekretariat für Wirtschaft seco bei Bundespräsidentin Leuthard. Auch er entspricht diesem Typus des Commis de l’Etat, der auf Basis einer beeindruckenden Beamtenlaufbahn mit unbedingter Loyalität, starker Persönlichkeit und einem ausgeprägten Sinn für die Aufgabenteilung zwischen Regierung und Verwaltung agiert. Damit hat er sich auch gegen aussen eine hohe Reputation erworben. Gestern waren es Leute wie Franz Blankart, Edouard Brunner oder Jakob Kellenberger, der heute als Präsident des internationalen roten Kreuzes eine zentrale Rolle auf der Weltbühne spielt. Jakob Kellenberger ist und war ein begnadeter Verhandler, der zu Zeiten des EWR und des Transitvertrages Hervorragendes für die Schweiz geleistet hat. Damals hat man sich noch an die Maxime gehalten, dass ein Bundesrat erst in einer letzten Eskalationsstufe in eine Verhandlung eingreifen sollte. Jakob Kellenberger hat mir einmal gesagt, davor hätte er jeweils Angst gehabt, denn die Bundesräte seien in den Verhandlungen meist zu nachgiebig. Hätte man sich bei den Verhandlungen um den Flughafen Zürich an dieses Verhandlungsmuster gehalten, sähe die Situation heute wohl einiges besser aus.
Warum aber kommen uns solche hochwertigen Staatsdiener abhanden? Die jahrelange Stimmungsmache gegen den Staat hat die Attraktivität einer Laufbahn im Staatsdienste stark beeinträchtigt. Das Prestige ist gesunken und die Arbeitsbedingungen sind im Vergleich mit vielen Sektoren der Wirtschaft nur noch bedingt konkurrenzfähig. Sprüche wie die von der 'geschützten Werkstatt' sind nicht geeignet, die besten Köpfe anzuziehen. Es ist auch fraglich, ob ein Bundesrat diesen Typus überhaupt noch will. Die immer dichter werdenden Ringe persönlicher Mitarbeiter mit abschottender Wirkung sprechen eher das Gegenteil. Auch wenn es der ideale Commis de l’Etat vorzieht, im Hintergrund zu agieren ist eine gewisse Öffentlichkeitswirkung unausweichlich. Da könnte er einem Bundesrat ja vor dem Licht stehen. Der Commis de l’Etat widerspricht dem Zeitgeist. Das könnte uns noch teuer zu stehen kommen.
Benedikt Weibel