Kolumnen von Benedikt Weibel
Ein Überflieger ist abgetreten
"Persönlich" 4. Juli 2010
1981 erhielt Hayek Engeneering, eine damals weitgehend unbekannte Beratungsfirma mit dem Schwerpunkt Stahlindustrie, vom SBB Verwaltungsrat einen umfassenden Auftrag. Sämtliche Bereiche der SBB sollten auf Möglichkeiten zur Effizientsteigerung untersucht werden. Dazu wurde ein Team von Hayek-Beratern mit drei SBB Nachwuchsmitarbeitern ergänzt. Ich war einer dieser Glücklichen und kam so erstmals mit dem Namen Hayek in Kontakt. Wir schwärmten in die verschiedenen Bereiche der SBB aus, studierten Dokumente und führten Interviews mit dem Ziel, das 'Optipoz', das Optimierungspotential, zu eruieren. Jeden Freitag hatten wir in Zürich vor Nicolas Hayek über den Stand der Arbeiten zu rapportieren. Er war ein aufmerksamer Zuhörer und beeindruckte mit seiner Fähigkeit zur Synthese. Erst später erfuhr ich, dass er am Anfang seiner Tätigkeit in der Schweiz in der Firma seines Schwiegervaters Bremsklötze für die SBB produzierte.
An den Sitzungen des Verwaltungsrates brillierte er mit seinem Wissen, seinen Schlüssen und oft mit provokativen Vorschlägen. So wagte er an der politisch gewachsenen Struktur mit drei Kreisdirektionen zu rütteln. (Es brauchte dann allerdings nochmals fast 20 Jahre, bis sie aufgehoben wurden.) Vizepräsident des Verwaltungsrates der SBB war Pierre Arnold, Chef der Migros, auch er ein Charismatiker und damals Archetyp eines Patrons. Pierre Arnold und Nicolas Hayek begegneten sich in diesem Verwaltungsrat erstmals, beide liebten die Provokation und blieben sich gegenseitig nichts schuldig. Die Begegnung blieb nicht ohne Folgen. Nicolas Hayek holte Pierre Arnold zur Uhrenindustrie, wo er im Verwaltungsrat der SMH an der Sanierung der Industrie mitwirkte.
Ich bin in Solothurn und aufgewachsen und da hat man die Bedeutung der Uhrenindustrie schon in Kindesjahren begriffen. Uhrenfabriken wie Roamer und Lanco prägten die Region und die Uhrenmacherschule war eine Institution mit hoher Reputation. Über Jahrzehnte war der Uhrenmarkt kartellisiert und durch staatliche Interventionspolitik geschützt. In den Sechzigerjahren stammten 44 Prozent der weltweit produzierten Uhren aus der Schweiz. 1967 wurde im 'Centre Eléctronique Horlogère' in Neuenburg die Quarzuhr entwickelt, eine Erfindung, welche die Uhrenindustrie fundamental verändern sollte. Aber nicht die Schweizer Produzenten profitierten von der neuen Technologie, sondern die Japaner. Der dadurch ausgelöste Zerfall eines ganzen Industriezweiges in unerhört kurzer Zeit war für die Schweiz beispiellos. 90 000 Arbeiterinnen und Arbeiter verloren ihre Stelle, Städte wie Biel und Grenchen fielen in eine tiefe Depression. Der Weltmarktanteil betrug Ende der Siebzigerjahre gerade noch 13 Prozent.
In dieser verzweifelten Lage holten die Banken, damals noch klassische Kreditgeber mit hohen ausstehenden Krediten bei der Uhrenindustrie, Nicolas Hayek als Berater. Entscheidend waren dann drei Faktoren. Erstens scharte Nicolas Hayek mit Pierre Arnold, Ernst Thomke und einigen anderen brillanten Köpfen ein hochkarätiges Team um sich. Zweitens beschloss er, sein eigenes Vermögen in die marode Industrie zu stecken und drittens brach er das Tabu, in der Schweiz könnten nur Produkte im oberen Preissegment gefertigt werden. Letzteres war eine unerhörte Provokation. Kaum jemand gab dem Vorhaben, eine Plasikuhr für knapp 50 Franken (einem Preis, an dem nie gerüttelt wurde) auf den Markt zu bringen, eine Chance. Wenig später hob die Swatch in ungeahnte Sphären ab und wurde zum eigentlichen Hype. Ich höre immer noch die Stimmen: 'Die Swatch ist ein reines Modeprodukt, das lässt sich nicht langfristig durchhalten.' 25 Jahre, immerhin. Und im Windschatten der Swatch erholte sich die Industrie. Quarz verlor an Bedeutung, solide Handwerkskunst setzte sich mehr und mehr durch. Der Weltmarkt wird heute wieder von Schweizer Produkten dominiert. Neben einer Swatch für 38 Euro zählen heute Schweizer Uhren für gut 10 000 Franken zum mittleren Preissegment, gegen oben sind keine Grenzen gesetzt.
Nicolas Hayek war einzigartig, weil er eine Reihe von Eigenschaften in einer aussergewöhnlichen Kombination in sich vereinigte. Was ihn wohl am meisten auszeichnete, war sein provokanter Nonkonformismus, der ihn immer wieder gegen den Strom schwimmen liess. Er war in gleicher Weise herausragender Analytiker und leidenschaftlicher Marketingmann. Sein persönlicher Energiespeicher war grenzenlos. Vor allem aber war er ein Unternehmer und ein Patron von altem Schrott und Korn. Er sagte, wo’s durchging, wusste aber immer, wie wichtig die Belegschaft für den Erfolg seines Geschäftes war. Als Patron nahm er seine gesellschaftliche Verantwortung wahr und weigerte sich, in konjunkturellen Dellen Arbeitsplätze abzubauen. Den langfristigen Erfolg stellte er über kurzfristigen Profit und schielt nicht jeden Tag auf den Börsenkurs. Er wird uns auch als Mahner gegen die Exzesse auf den Teppichetagen fehlen.
Nicolas Hayek hat einer urschweizerischen Schlüsselindustrie den Platz in der Weltwirtschaft und ihren Stolz zurückgegeben. Er hat als einer der wenigen Unternehmer in der Schweiz Geschichte gemacht.
Benedikt Weibel