Kolumnen von Benedikt Weibel
Die Schamgrenze ist überschritten
"Sonntag" 13. Juni 2010
Die Nachricht: Seit Monaten wird um die 'Abzocker'-Initiative taktiert. Die Räte haben beschlossen, die Behandlungsfrist zu erstrecken. Gleichzeitig wurde die Bonussteuer auf unheilvolle Weise mit dem UBS-Staatsvertrag verknüpft.
Der Kommentar: Die Boni sind zum Symbol geworden für all die Krisen, die wir heute erleben. Das Thema wird immer wieder als populistisch disqualifiziert. Wer so argumentiert, hat nicht verstanden, dass das Phänomen tiefer geht. Eine schmale Gruppe von Menschen bezieht Saläre, welche die Schamgrenze in der öffentlichen Meinung weit überschritten haben. Wir wissen, dass die Welt ungerecht ist. Wir haben mit der Erkenntnis leben gelernt, dass der Wohlstand immer ungleicher verteilt wird. Nun aber hat sich ein Gefühl einer fundamentalen Ungerechtigkeit breit gemacht. Dieses Gefühl wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass dort, wo nun rigorose Sparprogramme gefahren werden, der 'kleine Mann' die Zeche bezahlt. Der französische Philosoph André Compte-Sponville hat es in seinem brillanten Buch 'Kann Kapitalismus moralisch sein?' auf den Punkt gebracht: Der Geniestreich des Kapitalismus liege darin, dass er von den Individuen nur verlange, das zu sein, was sie ohnehin seien, nämlich Egoisten. Nicht die Moral bestimme die Preise, sondern das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Wenn wir wollten, dass es in dieser Gesellschaft eine Moral gebe, so müsse die rechtlich-politische Ordnung der Wirtschaft Grenzen setzen.
Dafür werden primär zwei Ansätze diskutiert. Die Initiative gegen die Abzockerei will die Aktionärsrechte börsenkotierter Firmen stärken. Ob die Genehmigung von Gehältern und Boni durch die Generalversammlung die unheilvolle Entwicklung bremsen oder gar umkehren wird, ist fraglich. Der zweite Ansatz ist die Bonus-Steuer. Steuersubjekte sind dabei die ausschüttenden Firmen. Dagegen wird argumentiert, diese Steuer sei wirtschaftsfeindlich, weil sie den Unternehmungen Kapital entziehe. Tatsächlich könnte aber damit Druck auf die Boni aufgebaut werden, um das Kapital der Aktionäre zu schützen. Eine Bonus-Steuer ist auch in Grossbritannien und Frankreich ein Thema. Das entkräftet das immer wieder bemühte Argument der Abwanderung von Spitzenkräften . Neben diesen beiden Ansätzen gibt es weitere Möglichkeiten. Die krudeste Methode wäre, die Saläre gegen oben zu begrenzen. In der US-Basketball Liga funktioniert das System der 'Salary Caps', welches verhindert, dass die finanzstärksten Mannschaften alle Stars verpflichten. Der Markt wird damit bewusst ausgehebelt, weil eine gleichmässigere Verteilung der Chancen eine interessantere (und lukrativere!) Meisterschaft verspricht. In einer komplexen Volkswirtschaft kann man sich allerdings kaum vorstellen, wie diese Caps bestimmt und angepasst werden sollten. Ein derartiger Eingriff in den Mechanismus von Angebot und Nachfrage würde Umgehungen provozieren und Wettbewerbsnachteile verursachen. Einige Firmen beschränken den Spielraum der Saläre gegen oben durch eine Verhältniszahl zwischen tiefstem und höchstem Salär. Schon besser als ein Cap, aber auch systemfremd und für eine gesamte Volkswirtschaft kaum praktikabel. Bleibt als letzte mögliche Massnahme die Umverteilung über eine massive Erhöhung der Steuer-Progression bei sehr hohen Einkommen. Da würde bei uns im Vergleich mit dem Ausland noch Raum bestehen. Im Gegensatz zur Bonus-Steuer würde hier der Empfänger des Bonus zur Kasse gebeten. Ob das die Saläre gegen unten treiben würde, ist zweifelhaft, es könnte auch das Gegenteil eintreten.
Gegen Salärexzesse muss dringend etwas unternommen werden. In einer nüchternen Beurteilung der möglichen Massnahmen schneidet eine Kombination von Ausbau der Aktionsärsrechte mit einer Bonus-Steuer am besten ab.
Benedikt Weibel