Kolumnen von Benedikt Weibel
Krisen, die Systemfrage und Fussball
"Persönlich" 1. Juni 2010
Von der Finanzkrise zur Wirtschaftskrise zur Fiskalkrise: Die Systemkrisen jagen sich. Der amerikanische Starökonom Nouriel Roubini sieht das nüchtern. Krisen, sagt er, sind fester Bestandteil des kapitalistischen Genoms, sie sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Das Grundmuster sind immer wieder übertriebene Hoffnungen, welche zu Blasen führen, die irgendwann platzen. Die bekannteste Methapher dazu ist der 'Schweinezyklus', welche das Phänomen anhand der Schweinemast umschreibt, wo hohe Marktpreise Investitionen auslösen, deren Auswirkungen sich wegen der Aufzuchtzeit verzögern und zu einem Überangebot führen bis die Blase platzt, die Preise zerfallen und der Zyklus wieder von vorne beginnt.
Das Marktgleichgewicht als Ausnahmefall? Dazu eine systeminhärente Tendenz zur immer extremeren Einkommens- und Vermögensverteilung, das sind offensichtliche Schwächen der kapitalistischen Marktwirtschaft. Der französische Philosoph André Comte-Sponville stellt die Frage: Kann Kapitalismus moralisch sein? Der Kapitalismus ist, so kommt er zum Schluss, weder moralisch noch unmoralisch, sondern ganz einfach amoralisch. Diese fundamentale Amoralität reiche aber nicht aus, um ihn zu verurteilen. Sie sei im Gegenteil eine Stärke. Ein Wirtschaftssystem sei dazu da, Reichtum zu schaffen, und das habe der Kapitalismus über eine lange Zeit hinweg bemerkenswert effizient geschafft. Es sei vernünftig, ihn zu akzeptieren, solange er nicht durch etwas Besseres ersetzt werden könne und da sei nun einmal weit und breit keine Perspektive vorhanden. Aber über diesem System, ergänzt er, stünden andere Ordnungen, namentlich die rechtlich-politische Ordnung, die Ordnung der Moral und die ethische Ordnung, welche der 'technowissenschaftlichen Ordnung' die Grenzen zu setzen hätten. Dabei stelle sich das fundamentale Problem, dass dies im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr allein auf nationalstaatlicher Ebene erfolgen könne, sondern eine Politik im Weltmassstab erfordere. Gerade in den jüngsten Krisen hat sich wieder gezeigt, wie schwer sich die internationale Staatengemeinschaft damit tut.
Der Geniestreich des Kapitalismus sei, dass er von den Individuen nur das verlange, was ihrer Natur entspreche, nämlich sich egoistisch um die eigenen Interessen zu kümmern. Erstaunlicherweise werden in diesem System aber immer wieder Leistungen erbracht, welche sich der kapitalistische Maxime 'there is no free lunch' entziehen. Ein eindrückliches Beispiel ist Wikipedia mit seiner frei zugänglichen Enzyklopädie. Zurzeit stehen wieder die wirklich wichtigen Dinge im Leben im Vordergrund. In Südafrika wird um die Fussball- Weltmeisterschaft gespielt. Die schönsten Geschichten zum grenzenlosen Thema Fussball finden sich im Magazin 'zwölf', von Medienprofis ehrenamtlich gemacht. 'Einnahmen dienen der Deckung der anfallenden Kosten. Allfällige Überschüsse werden in das Magazin investiert.' Boni werden keine ausgeschüttet und trotzdem scheint niemand abzuwandern.
Benedikt Weibel