Kolumnen von Benedikt Weibel
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing
"Persönlich" 1. Mai 2010
Kaum ein Thema wird so intensiv und so kontrovers diskutiert, wie das Bankgeheimnis. Behauptungen stehen gegen Behauptungen. Grund genug, eine seriöse Darstellung der Genese des Bankgeheimnisses in der Schweiz zu konsultieren. Die gibt es im hervorragend recherchierten und spannenden Buch 'Swiss Banking - wie weiter'. Geschrieben haben es der preisgekrönte Journalist Claude Baumann und der Banker Werner E. Rutsch. Fassen wir kurz zusammen: Erste Dokumente über das Bankgeheimnis stammen aus dem frühen 18. Jahrhundert. Nach und nach wurde das Bankgeheimnis Bestandteil des Bankengeschäftes, war aber in keinem Gesetz geregelt. Ausgangspunkt für eine Legiferierung war die Weltwirtschaftkrise in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Nach dem verheerenden Ersten Weltkrieg mussten namentlich in Frankreich und Deutschland enorme Summen zur Finanzierung des Wiederaufbaus und zur Tilgung von Kriegsschulden aufgebracht werden. Die dafür erhobenen zusätzlichen Steuern und Abgaben förderten die Steuerflucht in die vom ersten Weltkrieg verschonte Schweiz. Anlässlich einer stürmischen Debatte im französischen Parlament nannte ein Abgeordneter die Namen von prominenten Kunden von Schweizer Banken. Im Kulminationspunkt der Krise, 1932, verhaftete die französische Polizei in Paris zwei hohe Schweizer Bankiers. Darauf zogen verunsicherte ausländische Kunden ihre Vermögen in grossem Stil aus der Schweiz ab. Das führte mit zum Kollaps der Banque de Genève. 1931 musste gar die 'überaus bedeutende' Volksbank vom Bund mit der riesigen Summe von 100 Millionen Franken gestützt werden. Ende 1932 tauchte im bereits seit Jahren diskutierten Bankengesetz erstmals ein Artikel über das Bankgeheimnis auf. Die Linke war gegen das Bankgeheimnis, forderte aber seit Jahren eine gesetzliche Regelung zum Schutz von Kleinkundengeldern. In einem typisch schweizerischen Kompromiss wurden die beiden Anliegen in ein Paket geschnürt und das Gesetz trat 1935 in Kraft. Die beiden Autoren schreiben Klartext: 'Dass das Bankgeheimnis ursprünglich festgeschrieben wurde, um Vermögenswerte von Nazi-Opfern, insbesondere von Juden zu schützen, wie das teilweise bis heute kolportiert wird, ist falsch.'
Was lernen wir aus dieser Geschichte? Schon im späteren Mittelalter galt in Europa das Bonmot 'pas d’argent, pas des Suisses'. Das Bankgeheimnis passt perfekt in diesen Kontext. Die Schweiz war nach dem Ersten Weltkrieg Kriegsgewinnlerin. Den traumatisierten und zerstörten Ländern hat man den Aufbau erschwert, indem ihnen durch die Schweizer Banken massiv Steuersubstrat entzogen wurde. Das Bankgeheimnis dient einzig und allein dem Schutz des Geschäftsmodells der Schweizer Banken. Politisch konnte es nur realisiert werden, weil man in einem Kompromiss gleichzeitig den Schutz von Kleinanlegern regelte. Danach wurde das Bankgeheimnis über die Jahrzehnte mit Legenden umrankt und ein eigentlicher Mythos aufgebaut. Das Bankkundengeheimnis, wie es in grotesker Umkehrung der Realität bisweilen genannt wird, sei die Speerspitze gegen die Angriffe auf den Schutz der Privatsphäre. Es gehe um ein fundamentales Menschenrecht. Fehlt nur noch, dass die Banker als Menschenrechtsaktivisten positioniert werden. Im Gegensatz zum Dalai Lama allerdings mit beträchtlichem Schmerzensgeld in Form von Boni.
Wie schamlos Propaganda betrieben wird, zeigt ein kürzlich in der der Weltwoche erschienener Artikel. 'Allerdings war es nie so, dass das Bankgeheimnis für die Finanzbranche geschaffen wurde. Vielmehr galt es als Schutz der Kunden, nachdem zwischen 1915 und 1935 zahlreiche Institute in Existenznot geraten waren. Selbst die Sozialdemokraten unterstützten damals ein schärferes Bankengesetz zugunsten der Sparer und Anleger.' Man könnte diesem Schreiber empfehlen, das Buch von Baumann/Rutsch zu lesen. Dumm nur: er heisst Claude Baumann.
Benedikt Weibel