Kolumnen von Benedikt Weibel

Nur die Wahrheit?

"Persönlich" 1. Februar 2010

Der Grundsatz 'man muss nicht alles sagen, aber alles, was man sagt, muss wahr sein', wird Egon Bahr zugeschrieben. Daraus folgt der kategorische Imperativ: Niemals lügen. Alles klar. Wenn nur nicht so oft gegen das oberste Gebot der Kommunikation 'die Fakten kennen' verstossen würde. Wie beispielsweise in Deutschland im Fall der Kunduz Krise. Noch immer ist umstritten, was sich beim fatalen Angriff der Bundeswehr auf einen Lastwagenkonvoi in Afghanistan genau ereignet hat. Die Verantwortlichen wurden zu früh exkulpiert. Allerdings ist nicht immer eindeutig, was eine Lüge ist. Der damalige Verwaltungsratspräsident der UBS hat im Herbst 2008 ein recht positives Bild der Bank gezeichnet, obwohl sie bereits mit dem Bund in Verhandlungen über ein Rettungspaket stand. Das wurde als lässliche Sünde qualifiziert. Die NZZ meinte, es habe sich nicht um eine 'glatte Lüge' gehandelt. Angesichts der streng vertraulichen Verhandlungen sei das nachvollziehbar. Notlüge quasi.

'Nicht alles sagen' ist nicht lügen. 'Nichts sagen' schon gar nicht. Unter Umständen ist das sogar die beste Kommunikationsstrategie. Die Verhandlungen über das Banken-Rettungspaket mussten zwingend unter strikter Geheimhaltung erfolgen. Es wäre auch der Causa Libyen dienlich gewesen, wenn sie ohne öffentliche Nebenengeräusche hätte behandelt werden können. Der Übergang von 'nichts sagen' zu 'vertuschen' ist allerdings fliessend. Wie im Fall der britischen Innenministerin. Die erfuhr, dass Tausende illegaler Ausländer in privaten britischen Sicherheitsdiensten arbeiteten. Einer davon bewachte gar den gepanzerten Dienstwagen des Premierministers. Die Kommunikationsberater empfahlen, die peinliche Nachricht nicht publik zu machen. Natürlich wurde sie trotzdem den Medien zugesteckt. Diese hatten nun eine doppelte Geschichte: Den Vorfall selber und den Versuch seiner Vertuschung. Deshalb: Lieber mit dem Unangenehmen an die Öffentlichkeit, als mehrfach zur Zielscheibe zu werden.

Auch 'Aussitzen' kann eine zweckmässige Kommunikationsstrategie sein. Man vertraut dabei auf die alte Weisheit, dass jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Eine Grossmeisterin des Aussitzens ist Angela Merkel. Aber auch hier kann der Schuss nach hinten gehen. So wie bei der damaligen Leiterin des Zürcher Sozialamtes. Zu lange hat sie Fakten zum Sozialmissbrauch ignoriert. Pech, dass ein während der 1. Mai Nachdemonstration abgefackeltes BMW-Coupé ausgerechnet einer Sozialhilfeempfängerin gehörte. Aber nicht einmal das konnte sie aus der medialen Reserve locken. Als sie endlich reagierte, war es zu spät.

Es gibt noch eine Zwischenform. Ein Ereignis wird zwar bekannt gegeben, anstelle einer Begründung wird aber eine Floskel kommuniziert. Das ist bei Trennungen von obersten Führungskräften die Norm. Die Floskeln sind: 'Im gegenseitigen Einvernehmen' und 'wegen unterschiedlicher strategischer Ansichten'. Bei Nachfragen heisst es lapidar: 'No comment'. Das ist für die Medienschaffenden frustrierend, liegt aber im Interesse beider Parteien und ist meist vertraglich abgesichert. Wer in einer solchen Situation seinen Ärger nicht runterschlucken und vorwärts schauen kann, manövriert sich ins Abseits. So wie der Schweizer Fussballtrainer, der sich nach seiner Entlassung bei Hertha Berlin in zwei Pressekonferenzen erklärte. Darauf wurde seine Entlassung auf 'fristlos' umfirmiert. Der Fussballtrainer hat seine Reputation und Vermittelbarkeit kaum erhöht. Ganz anders die UBS, als sie sich im Frühjahr 2007 völlig überraschend von ihrem CEO trennte. Keine der Parteien liess sich ein Kommentar entlocken. Der Vorgang ist bis heute Gegenstand von Spekulationen geblieben.

Die Lehren daraus: Fakten kennen, situativ handeln. Im Zweifelsfall ist offensiv besser als defensiv.

Benedikt Weibel