Kolumnen von Benedikt Weibel

Magische Berge

"NZZ" 6. November 2009

Es stockt der Atem, wenn man ins Tal kommt, selbst wenn man das Matterhorn schon hundert Mal gesehen hat. Magisch ist ein Berg durch seine Form, seine Lage, aber auch durch die Geschichten, die sich um ihn ranken. Und das ist die Rangliste der magischsten Berge.

1. Matterhorn

Das Matterhorn ist nicht nur der schönste Berg, auch seine erste Besteigung war höchst dramatisch. Zwei Teams lieferten sich ein Rennen, das Eduard Whymper gewann. Im Abstieg starben nach einem Sturz mit Seilriss vier Mitlieder seiner Seilschaft. 1932 erhielten die Gebrüder Schmid nach ihrer Erstersteigung der Nordwand die olympische Goldmedaille. 1965, hundert Jahre nach der Erstersteigung, bezwang der leistungsstärkste Bergsteiger seiner Zeit, Walter Bonatti, als erster, allein und im Winter die direkte Nordwand.

2. Mount Everest

Der höchste Berg der Welt. Jahrzehntelang das Ziel der ambitionierten Bergsteiger. Noch heute ist die Expedition von 1922 mit dem grossen George Leigh Mallory mit Legenden umrankt. Lange hielt sich das Gerücht, Mallory und Irvine hätten den Gipfel erreicht. Der gewaltige Khumbu Eisbruch, das Tor zum Everest von Süden, wurde erstmals von Schweizern erstiegen, ein Jahr vor dem Gipfelerfolg von Hillary und Tenzing. Mit genügend Kapital und Ausdauer ist der Everest heute ein allgemein zugängliches Ziel geworden.

3. Eiger

Die Nordwand macht diesen Berg, düster, drohend, gewaltig und gut einsehbar. Deshalb wurden schon die ersten Dramen in der Wand öffentlich, ganz besonders die unlängst verfilmte Geschichte mit Toni Kurz, der wenige Meter vor seinen Rettern im Seil hängend qualvoll starb. In den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts war nochmals Hochbetrieb, Teams aus der ganzen Welt suchten die Diretissima durch die Wand, mit dabei die Japanerin Michiko Imai und der amerikanische Kletterhero John Harlin, der mit einem gerissenen Fixseil in den Tod stürzte.

4. El Capitan

Ein Monument aus gelbrotem, makellosem Granit am Eingang des Yosemite Valley in Kalifornien, senkrecht und überhängend, tausend Meter hoch. Kein Fels demonstriert die Entwicklung des Kletterns drastischer als der El Capitan. 1958 wurde die erste und immer noch bekannteste Route, die 'Nose' in einer veritablen Materialschlacht erstiegen. Warren Harding und seine Gefährten benötigten dafür 47 Tage. 1993 erkletterte Lynn Hill die Route erstmals völlig frei, ein Höhepunkt in der Geschichte des Frauensports.

5. Cerro Torre

Eine Flamme aus Granit im südlichen Patagonien, von magischer Schönheit und als der schwierigste Berg der Welt bezeichnet. Man wird nie wissen, wer den Cerro Torre als erstes erstiegen hat. 1959 wollten Cesare Maestri und Toni Egger den Gipfel erreicht haben. Egger stürzte beim Abstieg zu Tode, mit ihm die Kamera und seither streitet Maestri um die Anerkennung seiner Ersteigung, obwohl alle Indizien dagegen sprechen. Elf Jahre später stieg er nochmals ein, mit einem Kompressor zum Schlagen von Bohrlöchern, wie ein Mahnmal über die technische Verirrung des Bergsports hängt dieser noch immer hoch oben auf dem Cerro.

6. K2

'Berg der Berge' nennt ihn Reinhold Messner, der höchste Berg im Karakorum, der zweithöchste der Welt. Der schwierigste Achttausender, 298 Menschen standen bis heute auf seinem Gipfel, 78 starben am Berg, davon 38 beim Abstieg. Eine mächtige Pyramide mit einem Namen wie ein Reinigungsmittel. Schöner ist 'Kappa Due', so nennen ihn die Italiener, die schon 1909 erstmals die Besteigung versuchten und 1954 die ersten auf dem Gipfel waren.

Nun aber freuen wir uns auf die nahen Skitouren. Und träumen von einem neuen Sommer mit magischen Bergen.

Benedikt Weibel