Kolumnen von Benedikt Weibel

Lektion in Französisch

"Sonntag" 24. Februar 2008

Letzte Woche bin ich zum letzten Mal nach Paris an eine Verwaltungsratssitzung der französischen Staatsbahn SNCF gereist. Mit einer gewissen Melancholie, war mir doch das Mandat über die Jahre ans Herz gewachsen. Es gab mir die Gelegenheit, neben der SBB eine andere Bahn vertieft kennen zu lernen. So konnte ich auch in meiner früheren Führungsaufgabe bei der SBB viel vom Quervergleich profitieren.

Fasziniert hat mich der Unterschied der Kulturen. Das beginnt schon beim Geschäftsreglement, Ziffer 2: Le mandat est gratuit. In Frankreich ist es eine Ehre, ein solches Mandat ausüben zu dürfen und diese Ehre ist Lohn genug. Nach einiger Zeit wird man zum Chevalier de la Légion d' Honneur geschlagen und erhält mit grosser Zeremonie einen Orden. Wenn man bedenkt, dass in der Schweiz selbst für Stiftungsräte von karitativen Stiftungen horrende Honorare bezahlt werden, ist das französische System zumindest ausgesprochen günstig.

Ein Drittel der Mitglieder des Verwaltungsrates sind Gewerkschafter, die mir als Cheminots persönlich nahe standen, mit ihrer Klassenkampf-Rhetorik aber doch aus einer anderen Welt schienen. Für französische Gewerkschafter ist der Streik das wichtigste Grundrecht. Gestreikt wird ohne Rücksicht auf Verlust, was vor allem im Güterverkehr fatal ist. Für die Gewerkschafter gibt es keine Kunden, sondern usagers. Das treffende Wort un usager subit, un client choisit lässt sie kalt.

Der wohl zentralste Begriff der SNCF ist Service Public, ein Wort, das in Frankreich fast schon religiöse Züge trägt. Sein Inhalt wird von der Unternehmungsleitung und den Gewerkschaften völlig verschieden interpretiert. Für die Unternehmungsleistung ist Service Public eine Dienstleistung, welche vom Markt nicht ausreichend bezahlt und daher von der öffentlichen Hand abgegolten wird, z.B. der Regionalverkehr. Für die Gewerkschaften gehören sämtliche Leistungen der SNCF (auch die hochrentablen TGV's) zum Service Public, welcher als eine Art Lizenz für Defizite verstanden wird

In diesem Verwaltungsrat wurde ich zum ersten Mal im meinem Leben von einer Frau geführt. Ann-Marie Idrac (Mutter von vier Kindern) leitet diese Riesenunternehmung sehr souverän. Bei der SNCF sind Frauen in Führungspositionen so selbstverständlich, dass die Frage der Stellung der Frau im Verwaltungsrat nicht einmal ein Thema war.

Fünf Jahre lang war Sénateur Hubert Haenel aus dem Elsass mein Tischnachbar. Er hat mir in den feudalen Räumen des Senats im Palais Luxembourg die Essenz der französischen Kultur erklärt: La Franc: c’est la monarchie et les barriquades. Er hat dazu beigetragen, dass ich mein Französisch aufpolieren konnte und mir einige Schlüsselbegriffe beigebracht. Mit rupture und volontariste liegt man nie falsch. Im Moment hat das Monarchistische Hochkonjunktur. Eine der brennendsten aktuellen Frage dreht sich um eine Foto der Königin, nur mit Stiefeln und einem Ring bekleidet. Ist es der Ring, der ihr der König geschenkt hat? Auch dafür haben unsere Nachbarn ein schönes Wort: c’est le ridicule qui tue.

Benedikt Weibel