Kolumnen von Benedikt Weibel
Aus Schrott Gold machen
"Persönlich" 1. Oktober 2009
Es ist der uralte Traum der Alchemisten. Immer noch, wie eine Google Suche mit 258 000 Ergebnissen zeigt. Noch etwas mehr Ergebnisse bringt die Korrelation von Gold mit einem Begriff, der mit den gleichen drei Buchstaben beginnt. Ich lerne da: Charlotte Roche hat das Rezept gefunden.
Dabei ist die Aufgabe einfach, man muss bloss seine Marketingaufgabe lösen. Man nehme ein Produkt, mit Vorteil eines, das sich möglichst billig herstellen lässt. Man gebe ihm einen guten Namen. Man fülle den Namen mit Geschichten und baue so einen Mythos auf. Man verkaufe das Produkt zu einem stolzen Preis. So baut man einen Powerbrand und kassiert.
Kennen Sie Moleskine (Betonung auf der zweiten Silbe)? Das Produkt ist ein profanes Notizbuch, das in jeder Papeterie, auch bei Grossverteilern sowie im Buchhandel angeboten wird. Auf den Schreibwarenregalen finden sich neben den Moleskine-Büchlein die ungebrandeten Notizhefte, die im Vergleich dazu nur einen Bruchteil kosten. Woher kommt der Name? Ich weiss es nicht, jedenfalls hat er die gewisse Aura. Die Geschichten hinter diesem Namen sind grossartig. Künstler und Denker wie van Gogh und Picasso sollen diese Notizbücher benutzt haben. Und Hemingway. Sehen Sie das Bild vor Ihrem inneren Auge? Hemingway in Kuba an der Beach, in der einen Hand seinen Daiquiri, in der anderen den Stift, mit dem er seine Bemerkungen ins Moleskine schreibt, der alte Mann und das Meer... Und da ist noch Bruce Chatwin, der in Australien die letzten verfügbaren Moleskine aufgekauft hat, bevor er nach Patagonien aufbrach. Man muss es anerkennen: grossartige Legendenbildung! 'Mitttlerweile ist Moleskine Synonym für Kultur, Reise, Erinnerung, Phantasie und persönliche Identität' (Eigendeklaration). Schauen Sie sich das Moleskine-Sortiment einmal an. Sie werden überrascht sein von der Breite des Sortimentes (Farbe, Grösse, liniert, kariert oder blank), vor allem aber von den, sagen wir mal, mutigen Preisen. Zusatznutzen gibt es übrigens auch noch, man kann sich einen Namen auf die Büchlein drucken lassen (hübsche Geschenkidee).
Die Sache hat volkswirtschaftliche Implikationen. Zwei Produkte, weitgehend identisch, auch ihre Produktionskosten. Das eine kostet zwei Franken, das andere zehn Mal so viel. In der Masse führt das zu einem imposanten Wachstum des BIP und erst noch mit einem im Verhältnis zum Preis viel bescheideneren Ressourcenverbrauch. Genau das, was uns die Ökonomen empfehlen: Nicht weniger, sondern besseres Wachstum, nicht Verzicht, sondern Qualität. Und bekanntlich schafft Wachstum Arbeitsplätze - wirklich?
Ich muss noch erzählen, wie ich zu Moleskine gekommen bin. Ich suchte ein Notizbuch, um mir die Ideen für meine Kolumnen zu sammeln. So bin ich jetzt auch eine Art Hemingway. Ich wundere mich bloss, warum ich keinen Bleistift von der Art, wie ihn weiland Hemingway und Bruce Chatwin benutzt haben, erstehen kann. Meine Zahlungsbereitschaft wäre vorhanden und so hätte ich wieder meinen Beitrag zum Wachstum geleistet.
Benedikt Weibel