Kolumnen von Benedikt Weibel
Der wahre Wert einer Ware
"Persönlich" 15. September 2009
In längst vergangenen Zeiten habe ich als junger Linker eine exzellente ökonomische Schulung durchlaufen. Eines der Themen dieser Zeit war das Verhältnis des Gebrauchswertes einer Ware zu ihrem Tauschwert. Das Wertparadoxon besagt, dass zwischen den beiden Grössen kein quantitativer Zusammenhang besteht. So ist beispielsweise der Gebrauchswert von Brot hoch und der Tauschwert niedrig, während es beim Diamantenring gerade umgekehrt ist. Für den jungen Linken war der Tauschwert Gegenstand der Skepsis, bildet er sich doch jenseits jeglicher ethischer oder moralischer Kriterien.
Als Gebrauchswert wurde der subjektive Nutzen einer Ware bezeichnet. Der Begriff ist längstens auf dem Müll der Geschichte gelandet, und doch ist das Thema wieder aktuell. In den letzten Jahrzehnten haben sich Gebrauchs- und Tauschwert in vielen Bereichen in höchster Kadenz auseinander entwickelt, und zwar in beide Richtungen. Viele Waren mit einem relativ hohen Gebrauchswert haben heute einen Tauschwert, der gegen Null tendiert. Das gilt für Flüge, Zeitungen, Informationen, elektronische Geräte, aber auch viele Nahrungsmittel. Der Milchpreis ist in Deutschland mittlerweile auf 55 Cents gesunken, ein existenzielles Problem für die Milchbauern. Ein findiger Bauer verkauft nun Anteile an seinen Kühen in Form von Aktien. Einen solchen Kuh-Aktionär habe ich erläutern hören, dass er damit für den Liter Milch etwa einen Euro bezahle, was dem Wert dieses Gutes entspreche. Damit bezieht er sich auf einen für ihn stimmigen Gebrauchswert.
Gerade umgekehrt entwickelt sich das Verhältnis von Gebrauchs- zum Tauschwert dort, wo starke Brands im Spiel sind. So lese ich, dass die Leser eines Uhrenmagazins die Portugieser Vintage von IWC zur schönsten Uhr im mittleren Preissegment gewählt hätten. Der Zeitmesser kostet die Kleinigkeit von 13 000 Franken. Damit wird suggeriert, dass der mittelständische Konsument, der etwas auf seine Erscheinung gibt, einen fünfstelligen Betrag bezahlen muss, bloss um die Zeit ablesen zu können.
Wir nehmen diese Entwicklungen stoisch zur Kenntnis. Von einem Paradox spricht niemand mehr. In der Logik des Marktes gibt es nur den Tauschwert. Die Geschichte hat gezeigt, dass das Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht ausgehebelt werden kann, ohne dass dabei Verzerrungen entstehen. Es muss allerdings dafür gesorgt werden, dass das freie Spiel der Märkte nicht behindert wird. Nur in einem Bereich ist alles ganz anders. Wenn es um die Gehälter und Boni der Manager geht, feiert der Gebrauchswert, ohne dass der Begriff explizit verwendet wird, eine bemerkenswerte Renaissance. 'Ein Manager kann ja gar nicht so viel Wert sein', hört man immer wieder. Das ist in der Logik des Marktes eine völlig irrelevante Feststellung, so lange es einen Käufer gibt, der den Preis bezahlt. Es gibt ja auch keine sichtbare Empörung darüber, dass am Markt Uhren für 150 000 Franken angeboten und gekauft werden. Und das, bloss um die Zeit abzulesen. In seinem überaus anregenden Buch 'Der Schwarze Schwan' bringt es Nassim Nicholas Taleb auf den Punkt: Wir müssen zu Kenntnis nehmen, dass wir in Extremistan leben - und uns damit abfinden. Auch die Arbeitskraft eines Managers ist eine Ware. Ihr Preis bildet sich auf dem Markt. Und in der Logik dieses Marktes ergibt sich zwangsläufig ein völlig anderer Preis für einen CEO einer grossen multinationalen Firma verglichen mit einem lokalen Hersteller , sagen wir mal, von Mundpflegemittel. Wer den Markt akzeptiert, und das tun wir ja alle, der muss mit ihm leben und sich darauf konzentrieren, Marktversagen zu bekämpfen. Und solches gibt es im Bereich der Managerlöhne: Im Bereich der Anreizsysteme und bei der Sanktion bei Nichterbringung der Leistung. Ein direktes Interesse an der Ausmerzung solcher Verzerrungen hat der Aktionär, und der muss handeln.
Benedikt Weibel