Kolumnen von Benedikt Weibel
Die krampfhafte Suche nach Claims
"Persönlich" 1. Juni 2009
"Der Kluge reist im Zuge", das ist noch immer die häufigste Antwort, wenn nach dem Claim der SBB gefragt wird. Der Slogan ist allerdings seit über dreissig Jahren aus den Kampagnen der SBB verschwunden.
"Die Welt zu Gast bei Freunden". Kein Wortspiel, kein Witz und zunächst Gegenstand beissender Kritik. Und dann, während dieses wunderbaren Sommers 2006, wurde der Claim an der Fussball-Weltmeisterschaft in Deutschland unsterblich.
"Just do it". Ein ungemein kraftvolles Statement, auf der ganzen Welt präsent und verstanden.
"Vorsprung durch Technik" Ein Claim mit einer solchen Durchschlagskraft, dass er selbstbewusst auch im angelsächsischen Raum in der Originalsprache platziert wurde.
Was haben diese Claims gemeinsam? Sie prägen sich sofort ein. Sie enthalten eine Botschaft mit einer unmissverständlichen Aufforderung. Zwischen Botschaft und Brand besteht ein enger Zusammenhang. Und vor allem: sie sind nicht banal.
Selbstverständlich komponierten einige der renommiertesten Agenturen auch während der letzten Jahrzehnte Claims für die SBB ("In Zukunft die Bahn"). Nur: Kein Treffer. Und natürlich waren die Texter herausgefordert, für die EURO 2008 ans leuchtende Beispiel der Weltmeisterschaft anzuknüpfen. Ein gutes Geschäft, suchte doch jede der vielen beteiligten Organisationen ihren eigenen Claim. Und fand ihn ( "Wir leben Zürich"). Viel Mühe, viel Geld, ohne irgendeinen Nachhall, dafür nicht wenig Häme. Eine Fussball-Europameisterschaft ist ein Riesending, auf das mehr als die halbe Welt fiebert. Völlig überflüssig, das Logo der EURO 2008 mit "expect emotions" anzureichern.
Wenn ich die Liste der Top-Marken anschaue, dann fällt mir einzig für Nespresso der Claim spontan ein, natürlich: "What else". Nur: Die Marke firmiert ja mit "Die Seele des Kaffees". Man greift sich an den Kopf. Ein derart erfolgreicher Claim und dann ein so phantasieloses Wortgebilde. Die Frage stellt sich imperativ: Weshalb eigentlich suchen Topmarken krampfhaft nach einem Wortbild? Was soll das verschämt kleingedruckte "Wohnst du noch oder lebst du schon?" bei IKEA? Und das "für mich und dich" bei COOP (eine Übersetzung von "You & Us"?)? Oder gar der Zungenbrecher "Ein M besser" (die Vorlage "besser Karstadt" ist ja kaum ein durchschlagender Erfolg)? Oder Mammut, wo ein starkes Signet unter einer grossartigen Bildkampagne mit der Platitude "absolute alpine" verwässert wird. 1:0 für Jack Wolfskin: Die haben den Mut, ihr Logo tout court zu setzen.
Der innere Wert eines Brands sind die Assoziationen, die er auslöst. Wenn diese Assoziationen der Wunsch-Positionierung entsprechen, dann wirkt eine Marke ganz ohne verbales Zugemüse. Die höchste Form der Werbung sind starke Bilder mit direktem Bezug zum Markenkern, die sogar ohne Absender keinen Zweifel an der Herkunft lassen.
Die Chance, den wirklich guten Claim zu finden, ist nicht viel grösser, als im Lotto einen Sechser zu ziehen. Darum: Der Mut zum Verzicht bringt mehr Klarheit und kostet weniger.
Benedikt Weibel