Kolumnen von Benedikt Weibel
Mit Vollgas in die Wand
"Sonntag" 12. Juli 2009
Verdrängen, Aussitzen und Vergessen sind elementarere Schutzmechanismen. Es sind immer wieder Einzelereignisse, die ein Thema hochkochen und hektische Aktivität auslösen. So ist längst klar, dass unser Gesundheits- bzw. Krankheitssystem in einer schweren Krise steckt. Aber erst die Ankündigung massiver Prämienerhöhung hat wieder eine breite politische Diskussion ausgelöst. Auch an diese Prämienerhöhung werden wir uns gewöhnen und dann ist das Thema wieder vom Tisch. Bis zum nächsten Schock.
Nirgends wird die düstere Realität so sehr verdrängt, wie bei den Pensionskassen. Das Geschäftsmodell einer Pensionskasse basiert auf den Einzahlungen der Erwerbstätigen und der Unternehmungen, sowie den Erträgen aus den Kapitalanlagen. Damit werden die Renten der Pensionierten bezahlt und das Kapital für die künftigen Renten geäufnet. Dieses System gerät schon wegen der permanent steigenden Lebenserwartung aus dem Gleichgewicht. Nur die Beiträge der Versicherten und ihrer Unternehmungen sowie der Umwandlungssatz können direkt beeinflusst werden. Das Potential der beiden ersten Faktoren ist gerade in der Krise begrenzt. Wenn der Anteil der Rentenbezüger einer Kasse hoch ist, ist eine Sanierung auf diesem Weg praktisch unmöglich. Die Reduktion des Umwandlungssatzes - das heisst tiefere Renten für die heute Erwerbstätigen - ist unabdingbar, reicht aber für eine Sanierung bei weitem nicht aus. Entscheidend bleiben die Kapitalerträge und die sind auch über die Anlagestrategie nicht wirklich kontrollierbar. Mathematisch lässt sich einzig die Soll-Rendite berechnen. Je schlechter der Deckungsgrad einer Kasse, desto schlechter ihre Risikofähigkeit. Gleichzeitig steigt die Sollrendite an, im heutigen System ein unlösbarer Widerspruch. Es sei denn, dass dereinst jedem Versicherten bei seiner Pensionierung das angesparte Kapital übergeben wird und es ihm überlassen bleibt, ob und wie er es in eine Rente umwandelt.
Jeder Anlageberater wird auf die Durchschnittsrenditen der letzten hundert Jahre verweisen. Was aber, wenn sich aufgrund der Finanzkrise die Märkte so fundamental verändert haben, dass solche Renditen mit tragbarem Risiko gar nicht mehr erreichbar sind? Oder wenn die weltweit massiv ansteigenden Staatsschulden zu einer lang anhaltenden Inflation führen?
Das Thema ist für einen grossen Teil der Bevölkerung existenziell. Es macht nicht den Eindruck, dass das jemand kümmert.
Benedikt Weibel