Kolumnen von Benedikt Weibel
Zuerst die Fakten
"Persönlich" 1. Mai 2009
"Perception is reality". Deshalb spielt die Kommunikation in allen Lebenslagen eine immense Rolle und ganze Heerscharen von Spezialisten befassen sich damit.
Die Kommunikationsprofis in meinem Umfeld habe ich bisweilen mit der Feststellung provoziert, dass Kommunikation zunächst einmal überhaupt keine Rolle spiele. Entscheidend sei nämlich der Inhalt, nicht die Form. Man könne zwar etwas Gutes schlecht kommunizieren, das sei aber immer noch weit besser, als etwas Schlechtes gut zu kommunizieren. Und deshalb solle man sich primär darauf konzentrieren, gute Entscheide zu fällen. Für meine Vorlesung über "Praktisches Management" an der Universität Bern habe ich eine Checkliste "Unternehmungskommunikation" entwickelt. Zuoberst auf dieser Liste steht daher der Punkt "Inhalt vor Verpackung".
Für jeden Kommunikationsprofi ist die Kommunikation in der Krise die ultimative Herausforderung. Gerade in der Krise spielt dieser Grundsatz Nummer 1 die zentrale Rolle. Oft ist die Faktenlage alles andere als klar. Deshalb muss man sich in der ersten Phase rigoros auf die Aufarbeitung der relevanten Tatbestände konzentrieren. Auch am 22. Juni 2005, beim totalen Stromausfall der SBB, ging es zuerst darum, sich eine Übersicht über die Geschehnisse zu verschaffen. Was? ist die erste Frage, und die ist oft nicht trivial. Wenn der Ablauf der Geschehnisse klar ist, folgt: Warum? Erst danach können Aktionen definiert werden. Wenn die Fakten nicht klar sind, muss man warten oder ausdrücklich nur das kommunizieren, was bekannt ist. Vor allem muss man sich davor hüten, zu früh über Ursachen zu sprechen. Oder sie zumindest explizit als vorläufige Hypothesen bezeichnen. Die grosse, vom Fernsehen direkt übertragene Medienkonferenz am Tag nach dem Blackout stand unter dem Titel "Kurzschluss löst Strompanne im Bahnnetz aus". Dumm nur, dass es gar kein Kurzschluss war, wie sich später herausstellte. Ein unverzeihlicher Tolggen in einer sonst makellosen Kommunikationsarbeit.
Ende Juni 2008 wurde das VBS von der Sonntagszeitung mit der Causa des neuen Armeechefs konfrontiert. Es hätte nur eine adäquate Reaktion gegeben: Umgehend eine Task Force einzusetzen, welche die Faktenlage ermittelt. In einer professionellen Organisation muss so etwas in kürzester Zeit möglich sein. Liegen die Fakten einmal auf dem Tisch, sind sie aus unternehmerischer Sicht zu beurteilen. Erst dann kann eine Kommunikationsstrategie festgelegt werden. Im Fall Armeechef verfügten die Medien während langer Zeit über einen Informationsvorsprung. Klar, dass damit die Akteure des VBS von Anfang an auf verlorenem Posten standen. Wie kann man kommunizieren, wenn man nicht weiss, was Sache ist? Ab und zu sind die von den Medien verbreiteten Thesen auch ganz einfach falsch. So machte im März 2007 die "Horrorschule" oder gar "Terrorklasse" im Zürcher Schulhaus Borrweg Schlagzeilen. Mehr als ein halbes Jahr später wird bekannt, dass die ganze Aufregung auf zwei Falschinformationen beruhte: Weder sind an dieser Schule sechs Lehrer verheizt worden, noch stammen drei Viertel der Kinder aus dem Balkan. Dass die Verifizierung derart banaler Aussagen Monate dauert, ist nicht nachvollziehbar. Ähnlich hilflos haben sich die Verantwortlichen im Fall der "Geheimpolizei Tigris" von den Medien treiben lassen. Man reibt sich die Augen, dass Führungskräfte offenbar keine Ahnung haben, was sich in ihrem Einflussbereich abspielt. Sie hatten nur Glück, dass sich das Thema offenbar mangels Interesse nicht für eine Kampagne eignete.
Besonders tragisch ist es, wenn zur unklaren Faktenlage noch eine eingegrenzte Wahrnehmung kommt. Wie bei den Fragen um den Missbrauch im Sozialwesen, die nach dem Prinzip "Was nicht sein darf, kann nicht sein" verdrängt wurden. Bis der BMW einer Sozialhilfebezügerin brennt. Vor einer solchen Tatsache muss selbst die stärkste Frau kapitulieren.
Benedikt Weibel