Kolumnen von Benedikt Weibel

Verstanden werden

"Persönlich" 1. April 2009

"Perception is Reality" heisst es plakativ. Deshalb stand im Lehrgebäude der alten Griechen die Rhetorik im Zentrum. Sprache legt die Wirklichkeit aus. "Das passende Wort ist das sicherste Zeichen für das richtige Denken", sagte Isokrates vor Jahrtausenden und er hat immer noch Recht. Das passende Wort ist der Schlüssel für das Verstehen und daher in jeder Kommunikation von überragender Bedeutung. Es gibt viele Möglichkeiten, Begriffe zu kategorisieren. Die für das Verständnis und die Einprägsamkeit einer Botschaft wichtigste Unterscheidung ist jene in abstrakte und konkrete Begriffe. "Peitsche", "Indianer" und "Ledermantel" sind konkrete Begriffe. Sie lösen in unserem inneren Auge ein Bild aus. "Öffentlicher Verkehr" ist ein abstrakter Begriff, worunter "nicht ein Gegenstand als solcher, sondern irgendeine Eigenschaft von Gegenständen, die gedanklich getrennt werden" verstanden wird.

Armin Reins schreibt in seinem Buch über Corporate Language dass, wer abstrakt schreibe (oder spreche), schon verloren habe. Abstrakte Begriffe liessen unterschiedliche Interpretationen offen und seien somit der Grundstein für Konflikte und Streit. Deshalb disqualifiziert Reins die abstrakte Sprache als "die Sprache aller Politiker, Bürokraten, Diplomaten, Banker, Beamten und Versicherer". Dumm nur, dass unser Vokabular übervoll ist von abstrakten Begriffen: Bankgeheimnis, Nachhaltigkeit, Rahmenbedingungen, soziale Kompetenz, Verantwortung, Service Public, Konkordanz, Gerechtigkeit, Strategie".

Konflikte und Streit könnten vermieden werde, wenn abstrakte Begriffe vor ihrer Verwendung im Diskurs eindeutig definiert würden. Ich habe in Kaderseminaren verschiedenster Firmen immer wieder die Frage gestellt, was denn eigentlich eine Strategie ist. Es ist schon erstaunlich, was da jeweils an vager Umschreibung vorgebracht wird. Versuchen Sie selbst einmal den Begriff "Service Public" zu definieren. Das ist eine recht junge Wortschöpfung, welche das früher verwendete "Öffentlicher Dienst" abgelöst hat. Tönt ja auch moderner, auch als die in Deutschland übliche Wortschöpfung "Daseinsvorsorge". An diesem Beispiel lässt sich zeigen, wie abstrakte Begriffe ohne präzise Definition ideologisch usurpiert werden. Die "Service Public Fraktion" hat den Begriff positiv besetzt und plädiert für die Präsenz des Staates in der Grundversorgung. Die neoliberale Gegenposition sieht darin eine Lizenz zum Kassieren von Steuergeldern. Der Begriff steht somit nicht mehr für einen Inhalt, sondern für eine Position.

Schön ist, wenn es gelingt, abstrakte Begriffe mit Hilfe konkreter Begriffe zu definieren. Ein hoher geistlichen Würdenträger umschreibt "Verantwortung" folgendermassen: "Red und Antwort stehen vor dem Richter". Auch "Nachhaltigkeit" lässt sich präzise definieren: "Nicht mehr abholzen, als nachwächst." So verstanden müsste dieser Modebegriff aus den meisten Reden und Texten verschwinden. Das Bild, mit dem sich "Gerechtigkeit" umschreiben lässt, ist das der Mutter, die das Essen gleichmässig verteilt, dabei aber den Schwächsten etwas bevorteilt. Oft ist es noch einfacher. Warum denn eigentlich "öffentlicher Verkehr"? Mit Eisenbahn, Tram, Bus stehen unmissverständliche, konkrete Begriffe zur Verfügung. Vergleichen Sie die zwei Botschaften: "Beim Rolling Stones Konzert betrug der Marktanteil des öffentlichen Verkehrs 90 Prozent." Oder: "60 000 Menschen waren beim Rolling Stones Konzert. Fast alle sind mit dem Zug angereist. Auf dem Parkplatz hatte es nur 1 200 Autos." Die erste Botschaft enthält drei abstrakte Begriffe. Die zweite Botschaft geht in beide Gehirnhälften, löst Bilder aus, wird verstanden, bleibt haften. Das Beispiel zeigt, wie professionelle Kommunikation wirkt. Damit werden Sie nicht nur verstanden, Sie dringen auch ins Gedächtnis Ihrer Zuhörer oder Leser ein.

Benedikt Weibel