Kolumnen von Benedikt Weibel

Moden, Trends und Standards

"Persönlich" 9. März 2009

Das Kennzeichen von Moden sind Schwingungen. Sie kommen und gehen in den immer gleichen Phasen. Zuerst die Avantgarde. Wie in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts, als lange Haare Symbol des Aufbruchs und der Rebellion wurden. Wenn der Mainstream die Mode erfasst, ist die Avangarde schon auf den nächsten Zug aufgefahren. Bedauernswert sind die Nachzügler, die heute noch mit den vor zwanzig Jahren modern gewesenen farbigen Krawatten mit kopulierenden Elefanten herumlaufen.

Auch im Management kommen und gehen die Moden. Ihre Designer sind clevere Consultents, die den Herdentrieb geschickt für die gnadenlose Vermarktung ihrer Konzepte nutzen. Outsorcing, Balanced Score Card, Lean Production, Total Quality Management, Shareholder-Value, Economic Value Added (Ja, wohin ist eigentlich der EVA verschwunden, das war doch die Methode zur Salärbestimmung? EVD - Econmic Value Destroyed - will man offenbar niemandem als lohnbestimmendes Element zumuten.), Kernkompetenz, Kaizen, Reengeneering, Benchmarking, erlebnispädagogische Teambildungsseminare,... Solange damit nur Zeit und Geld verschwendet wird, mag das noch angehen. Tragisch wird es, wenn die unreflektierte Umsetzung von Moden in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu existenziellen Problemen führt. Die Automobilindustrie hat das Outsourcing so konsequent umgesetzt, dass sie heute in vielen Bereichen von einzelnen Zulieferern abhängig ist. Macht ein exklusiver Lieferant Pleite, gerät auch der Autohersteller in grosse Schwierigkeiten. Ebenso konsequent hat BMW Benchmarking betrieben. Das grosse Ziel war, den Rivalen Mercedes zu überholen. Deshalb hat man den Verkauf mit günstigen Leasing- und Kreditverträgen angeheizt. Und nun hat der Konzern 20 Milliarden Euro für vermietete Fahrzeuge in der Bilanz.

Wesentlich langfristiger sind die Schwingungen bei den Trends. Es ist eindeutig, dass das Web 2.0 die Geschäftsmodelle in vielen Branchen grundlegend verändert. Offensichtlich ist auch der Trend zur Häuslichkeit, der in der Krise noch verstärkt wird. Kochsendungen im Fernsehen boomen und erfassen neue Segmente. Junge Menschen und Männer kochen mit Leidenschaft. Die Küche mutiert wieder zum Wohnraum und wird zum Prestigeobjekt. Der Absatz von Möbeln und Küchen ist deshalb von der Rezession noch kaum betroffen. Kaum übersehbar ist die Entwicklung auch beim Auto. Energieeffizienz ist da der bestimmende Trend.

Aus gewissen Trends entwickeln sich Standards im Sinne gesellschaftlicher Akzeptanzschwellen. Wer sich dagegen auflehnt, für den gilt das Wort von Montaigne: "Man wird bestraft, wenn man ich darauf versteift, eine Festung sinnlos zu verteidigen." Vor gut dreissig Jahren haben wir bei der SBB über die Klimatisierung von Eisenbahnwagen diskutiert. Es war die Zeit der Sondersession über das Waldsterben und die Energiebilanz sprach dagegen. Trotzdem setzte sich die Klimatisierung durch, zunächst im Fernverkehr. Heute ist sie ein Standard. Jeder neue Regionalzug ist klimatisiert, obwohl die breiten Türen und die vielen Halten ihren Effekt reduzieren. Kein Zweifel auch, dass sich der Trend des Nichtraucher-Schutzes zum Standard entwickelt. Selten haben wir bei der Bahn eine so wirkungsvolle Entscheidung getroffen, wie bei der Einführung der Nichtraucher-Bahn. Die Kosten sanken und die Zufriedenheitswerte bei den Faktoren Sauberkeit, Platzangebot und Klima im Zug stiegen sprunghaft an. Gut möglich auch, dass sich zur Zeit ein neuer, weltweit gültiger Standard für Managergehälter entwickelt.

Und die Lehre daraus? Bei Moden sollte man immer skeptisch sein. Es ist wie bei den Kleidern: Mit zunehmender Erfahrung lernt man, dass klassische Eleganz zwar teurer, dafür aber zeitlos ist. Trends sollte man frühzeitig erkennen und dann auf der Welle surfen. Und gegen Standards anrennen zu wollen, ist ganz einfach sinnlos. Ja, liebe Wirte.

Benedikt Weibel