Kolumnen von Benedikt Weibel

Von Kapitän Sully lernen

"Sonntag" 22. Februar 2009

Chesley "Sully" Sullenberger ist ein Held. In einer verzweifelten Situation setzte er seinen Airbus mit 155 Personen an Bord so sicher im Hudson River ab, dass niemand auch nur eine Schramme abkriegte. Was sich dabei in wenigen Minuten unter grösstem psychischem Druck abgespielt hat, ist ein grossartiges Beispiel für überlegtes Handeln und präzise Ausführung.

Nach dem Zusammenstoss mit einem Vogelschwarm und dem Ausfall der Triebwerke übernahm Sully das Steuer vom Kopilot. Innerhalb von Sekunden musste er unter drei Varianten auswählen: Zurück zum Flughafen La Guardia, Landung auf dem Flughafen Teterboro oder Wasserung im Hudson. Nach dem Entscheid für die Wasserung wählte er den Ort der Landung in der Nähe des Fähr-Terminals, so dass die Hilfe so schnell wie möglich organisiert werden konnte. Dann ging er die Checkliste für Notlandungen durch. Und landete seine Maschine perfekt auf dem Wasser. Er blieb in seinem Flugzeug, bis alle Menschen an Bord evakuiert waren. Bevor er selbst ins rettende Boot stieg, vergewisserte er sich persönlich, ob das Flugzeug auch wirklich leer war.

In Zeiten der Krise haben Begriffe wie Ethik, Moral, Tugend und Werte wieder einmal Hochkonjunktur. Sully demonstriert, auf was es wirklich ankommt. In der Krise gehört der Kapitän ans Steuer. Er muss den richtigen Entscheid treffen, selbst unter enormem Zeitdruck. Für den schlimmsten Fall hat er eine vorbereitete Checkliste zur Hand. Er beherrscht sein Metier und besitzt "geschulte Intuition" - man kann die Landung auf Wasser zwar nicht üben, aber man kann sie mental trainieren. Er ist ruhig, diszipliniert und beherrscht, selbst in der tödlichen Bedrohung. Vor allem aber trägt er die Verantwortung. Da geht es nicht um grossartige moralische Leitlinien, sondern um einen seit Jahrhunderten praktizierter Grundsatz: Der Kapitän verlässt als letzter sein Schiff. Manch einem Wirtschaftskapitän stünde es gut an, von Sully zu lernen.

Wer ab und zu mit dem Flugzeug unterwegs ist, macht sich noch andere Gedanken. Es gibt viele Vögel auf dieser Welt. Der Naturschutz ist so wirkungsvoll, dass es immer mehr sind. Auch die Flugbewegungen nehmen unablässig zu. Ein Vogelschwarm kann offenbar ein Flugzeug ausser Betrieb setzen. Das Absturz-Risiko steigt. Eine Diskussion darüber findet nicht statt.

Kommen wir nochmals auf Sully zurück. Er hat ja auch hervorragende Voraussetzungen für seinen verantwortungsvollen Job. Seine Vorfahren stammen aus Wynigen.

Benedikt Weibel