Kolumnen von Benedikt Weibel
Bergsteigen als romantische Lebensform
NZZ "Reisen und Freizeit" 19. Februar 2009
Den Titel habe ich entwendet. Bei Leo Maduschka, einem 1932 in der Civetta Nordwestwand umgekommenen Münchner Kletterer und Intellektuellen. Seine Dissertation hat er zum Thema "Problem der Einsamkeit des 18. Jahrhunderts" geschrieben. Der Aufsatz über Bergsteigen als romantische Lebensform wird mit einem Rilke Zitat eingeleitet.
"Aber noch ist unser Dasein verzaubert..."
Die Untertitel seines Textes sind: Das Romantische, der Wanderer, das Abenteuer, die Tat. Stichworte, die noch immer zu den Triebfedern der Aktivitäten gehören, die wir heute unter dem unromantischen Titel Outdoor zusammenfassen.
Rüdiger Safranski hat das um 1800 entstandene Phänomen in seinem grossartigen Buch "Romantik - Eine deutsche Affäre" umschrieben und analysiert. Faszinierend ist die Dynamik, die sich aufgrund von zwei gegensätzlichen Polen entwickelt hat. Diese Pole lassen sich mit Stichworten umschreiben. Auf der einen Seite: Vernunft, Sachlichkeit, ungeschminkt, Eigensinn, unterkühlt, desillusioniert, pessimistisch, rational, mechanisiert, blindwütiger ökonomischer Aktivismus, das Gewöhnliche, Mammon, Nutzen.
Die Wortliste des romantischen Gegenpols ist noch länger: Geheimnis, Sehnsucht, Musik, Verzauberung, schwärmen, Traum, Avantgarde, Nonkonformismus, Todessehnsucht, optimistisch, Posthornklang, Fernweh, entrückt, uneigennützig, Phantasie, Mythen, Nachtigall, Eskapismus, lyrischer Zauber, Nacht, Mondschein, Mystik, Schönheit, zwielichtig, wandern.
Elegant zieht Safranski den Bogen von Eichendorffs "Aus dem Leben eines Taugenichts" bis zur Bewegung von 1968, die er mit einigem Recht in die Kategorie der Romantik einordnet. "Die Romantiker eint das Unbehagen an der Normalität". Erstaunlich übrigens, dass die heute bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit verwendeten Modewörter "Traum" und "Vision" dem romantischen Wortschatz entlehnt sind.
Safranski zeigt eindrücklich, was geschehen kann, wenn man sich zu sehr der Romantik verschreibt. Die damit aufgebaute imaginäre Welt kann in die politische Sphäre durchbrechen und Fanatismus und Hass erzeugen. Robespierre war ein Romantiker und auch Radovan Karadzic wurde kürzlich in einem Interview als "absoluter Romantiker" bezeichnet. Und wenn ich heute das Buch von Maduschka, für das ich in meiner frühen Jugend geschwärmt habe, durchblättere, so entdecke ich an einigen Stellen unterschwellig völkisches Denken.
Gehen wir nach diesem Exkurs in die Geistesgeschichte zurück zu dem, was wir heute als Outdoor bezeichnen. All die damit umschriebenen Aktivitäten, aber auch das Reisen ganz allgemein ist die moderne Form von Eskapismus. Als Gegenpol zum durchorganisierten, agendabestimmten, geldgetriebenen, rationalen, technischen, komplexen Leben unserer Generation. Wer da im Frühling nicht die Sehnsucht nach dem Süden verspürt, ist wirklich ein (in der Sprache der frühen Romantiker) Philister.
Das Romantische ist ein Grundbedürfnis vieler Menschen der modernen westlichen Welt. Wenn man es sich leisten kann. Und natürlich wird dieses Bedürfnis gnadenlos vermarktet. Das tönt dann im Marketingjargon etwa so: "Unter Insight versteht man das, was den Konsumenten aktuell im Herzen beschäftigt. Das können Notwendigkeiten sein. Oder Wünsche, Hoffnungen, Träume. Das können geheime Sehnsüchte sein, die sogenannten Darksides. Etwas, was er keiner Marktforschungs-Befragung preisgeben würde." Der junge, intellektuelle Bergsteiger von heute würde deshalb seine Dissertation zum Thema "Die Romantik als Instrument in der Werbung und Verkaufsförderung" schreiben.
So pendeln wir auch heute noch zwischen den beiden Polen. Wir sind zwar Pragmatiker, gönnen uns aber gerne einen Anflug von Romantik. Und bezahlen ein Heidengeld für die neuste Softshell-Jacke.
Benedikt Weibel