Kolumnen von Benedikt Weibel
Konsequent
"Persönlich" 1. Juli 2019
Vor zig Jahren habe ich einen Essay von Hans Magnus Enzensberger über die Konsequenz gelesen. Und nie vergessen. Er lotet das ganze Kontinuum des Begriffs aus, vom Opportunismus bis zur gnadenlosen Konsequenz. Zu letzterem erzählt er eine Geschichte. Ein Professor an der Sorbonne dozierte über Volkswirtschaft in Entwicklungsländern. Das Elend könne dort nur beseitigt werden, wenn die vorhandenen Sozialstrukturen radikal umgepflügt würden. Als erstes gelte es, das Verhältnis von Stadt und Land umzugestalten. Der Landwirtschaft gebühre der absolute Vorrang. Zweitens müssten sich die armen Länder von der Weltwirtschaft entkoppeln. Und drittens müsse der kulturelle Einfluss des Westens gebrochen werden. Unter den Studierenden befanden sich einige Kambodschaner, einer hiess Khieu Samphan, ein anderer kannte man unter seinem nom de guerre Pol Pot. Als die beiden in ihr Land zurückkehrten, setzten sie das Gelernte mit aller Konsequenz um. Das kostete über zwei Millionen Menschen das Leben.
Das „Magazin“ hat 75 Vorschläge publiziert, wie wir alle zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen können. Seither trinke ich nur noch zweimal Kaffee im Tag (drei Sterne) und stelle die Dusche während dem Einseifen und Haarwaschen ab (vier Sterne). Die mit Abstand effektivste persönlich Massnahme zur Reduktion des CO2- Ausstosses steht mir leider nicht mehr zur Verfügung. Es ist der Verzicht auf das Kinderkriegen (fünf Sterne). Mit jedem nicht geborenen Kind können 86.5 Mio Tonnen CO2 eingespart werden. Nicht erstaunlich, dass die Idee aus Schweden, dem Greta-Land, stammt. Es gibt mittlerweile schon kreative Ideen, wie das umgesetzt werden könnte. Zum Beispiel die Kinderzulagen streichen oder jeder fünfzigjährigen kinderlosen Frau eine Prämie von 50‘000 Euro zahlen. „Nur weil ich eine Gebärmutter und zwei Eierstöcke habe, heisst das noch nicht, dass ich diese auch gebrauchen muss“, meint eine Autorin, die eben das Buch „Kinderfrei statt kinderlos“ veröffentlicht hat. Würden Frauen keine Kinder mehr kriegen, wäre das nicht nur gut fürs Klima, sondern auch ein grosser Schritt in Richtung androgyne Gesellschaft. Endlich würde die Frau aus der ihr von der patriarchalischen Gesellschaft aufgedrängten Rolle der fürsorglichen Mutter erlöst.
Die Forderung, das Kinderkriegen abzuschaffen, beruht auf einer glasklaren Lageanalyse: es sind die Menschen, welche die Natur ausbeuten. Die Forderung, das Kinderkriegen abzuschaffen, ist gnadenlos konsequent. Sie trifft zwei Fliegen auf einen Schlag. Das Klima würde gerettet und die Gleichstellung von Frau und Mann realisiert. Dann könnte man sich zwei bis drei Generationen lang an der neuen Welt erfreuen. Der Temperaturanstieg wäre geringer als zwei Prozent und die patriarchalische Herrschaft besiegt. Dann macht der letzte Mensch die Türe zu. Um die Umwelt muss man sich keine Sorgen machen. Die überlebt immer. Bei der Menschheit ist es nicht so sicher. Aber wie sagte schon Keynes: In the long run we are all dead.
Benedikt Weibel