Kolumnen von Benedikt Weibel
Club Med
"Persönlich" 1. März 2019
In den 48 Jahren meines Erwerbslebens sass ich in 16 verschiedenen Büros. Auf der untersten Komfortstufe war der Raum, in dem die Arbeitsgruppe Hayek/SBB zu Beginn der 1980iger Jahre wirkte. In der Gruppe war ich einer von drei jungen SBB- Mitarbeitern, dazu kamen sechs Berater der Firma Hayek Engeneering. Einziges Mobiliar im schmuck- und fensterlosen Raum mit einer tiefhängenden Decke waren einige Tische. Wir hatten den Auftrag, die gesamte SBB zu analysieren und waren oft unterwegs. Für Besprechungen, die Vorbereitung der wöchentlichen Präsentation bei Nicolas Hayek und die Redaktion der Berichte trafen wir uns im Arbeitsraum. Da sassen wir eng aufeinander, diskutierten, schrieben und hatten eine gute Zeit. Das beste all meiner Büros war 11 m2 gross. Mitten in der Stadt Bern, oberhalb des Szenencafés Lorenzini. Das Team der Euro 08 arbeitete hier zwei Jahre lang auf engstem Raum zusammen. Und hatte riesigen Spass.
Mühe hatte ich nur mit einem meiner Arbeitsplätze. Es war ein Chefbüro im Verwaltungsgebäude der SBB an der Mittelstrasse in Bern. Ein riesiges, rechteckiges Gebäude mit endlos langen Korridoren, die Türen der Einzel- oder kleinen Gruppenbüros meist geschlossen. Wenn man ins Gebäude tritt, hat man unwillkürlich Mani Matters „I bi vom Amt ufbote gsi“ im Ohr und muss gegen eine leichte Depression ankämpfen. Der ideale Ort, um einen Kafka-Film zu drehen. Es ist erstaunlich, wie sehr diese Kaninchenstallarchitektur bei der öffentlichen Verwaltung immer noch verbreitet ist. Selbst in neuen Bauten.
Seitdem Internetriesen in ihren Zentralen Hüpfburgen, Kletterwände und Töggelikästen aufgestellt haben, demonstriert man mit einer kreativen Bürolandschaft, dass man zur Avantgarde der Digitalisierung gehört. Ausgehend von der Hypothese, dass die Gestaltung der Arbeitsplätze Einfluss auf Kommunikation, Konzentration, Motivation, Kreativität und Kultur hat. Unternehmungen verfrachten ganze Abteilungen in Coworking Spaces. Die sind neuerdings mit schalldichten Boxen zum Telefonieren, mit farbigen Sofas, Ohrensessel, Fitness-Stationen und Ruheräumen mit Betten ausgestattet. Club Med in der Arbeitswelt. Oder, was man auch hört, Startup-Kitsch.
Denn die Hypothese ist umstritten. Einheitslösungen stehen oft den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeitenden entgegen. Das Frauenhofer-Institut betreibt seit über 20 Jahren „Büroforschung“ und hat festgestellt, dass die Hälfte der Wissensarbeiter sogenannte Stillarbeiter sind. Die bevorzugen Einzelbüros. Nun nimmt man den Arbeitenden noch den individuellen Arbeitsplatz weg und will sie zu Nomaden erziehen. Die waren in der Geschichte gegenüber den Sesshaften immer in der Minderzahl.
Es gibt eine starke Vermutung, dass der Arbeitsplatz kein Motivator ist, sondern nur ein sogenannter Hygienefaktor. Wenn gewisse Mindestansprüche nicht erfüllt sind, wird die Motivation negativ beeinflusst. Matchentscheidend sind ganz andere Dinge. Die Gründer der digitalen Revolution arbeiteten in einer Garage. Die Menschen trugen Shirts mit dem Aufdruck „Ich arbeite 90 Wochenstunden und liebe es.“
Benedikt Weibel