Kolumnen von Benedikt Weibel

Investigativer Journalismus

"Persönlich" 1. Mai 2018

Es sind glückliche Zeiten für den Schweizer Journalismus. Post und Raiffeisen liefern Schlagzeilen ohne Ende. Grund für die Branche, sich auf die Brust zu klopfen. Die Postgeschichte zeige, so die NZZ, die hohe Kompetenz der Branche in Recherche und Analyse. Wirklich? Die Story erhielt ihren Spin erst durch die Publikation eines Revisionsberichtes der Post, die dem „Blick“ zugesteckt wurde. Mit Recherche hat das nichts zu tun, mit Analyse ebenso wenig.

Als ich an der Universität Bern „Praktisches Management“ unterrichtete, hatte ich nach jedem Semester eine Prüfung durchzuführen. 2010 habe ich eine Aufgabe über die Post gestellt, die damals gerade die Wirren um ihren Verwaltungsratspräsidenten hinter sich hatte. Die Studierenden mussten eine „Strategische Auslegeordnung“ erstellen. Seither benutze ich die Post im Unterreicht als Übungsbeispiel für strategische Fragenstellungen. Ich will den Studierenden zeigen, wie viel man aus einer Analyse der Zahlen im Geschäftsbericht herauslesen kann. Dabei geht es mir auch um Begriffsschulung: Betriebsertrag ist Umsatz korrigiert um Bestandesveränderungen. Umsatz ist der Wert der verkauften Waren und Dienstleistungen. Nun frage ich die Studierenden, ob ihnen bei der Rechnung der Post etwas auffällt. So kommt die Rede auf den Geschäftsbereich Poststellen und Verkauf, seit 2017 PostNetz genannt. Der dort ausgewiesene Betriebsertrag entspricht nicht der gängigen Definition. 2016 waren 60 Prozent davon interne Verrechnungen. Interne Verrechnungen beruhen auf Konventionen, die offensichtlich munter verändert werden. Wie anders ist es zu erklären, dass diese sogenannten Betriebserträge zwischen 2009 auf 2011 von 1359 auf 1706 Mio Franken gestiegen, zwischen 2015 und 2016 von 1601 auf 1196 Mio Franken eingebrochen sind? Die Begründung der Post für den drastischen Rückgang ist lakonisch: „Die Produktverantwortung Privatkunden an Briefen und Paketen wurde am 1. Januar 2016 auf PostMail und PostLogistics übertragen“. Noch eine Frage?

Interessant ist der Geschäftsverlauf von Swiss Post Solutions, von der Post als Vehikel für die digitale Transformation bezeichnet. 2009 wurde in diesem Geschäftsbereich ein Umsatz von 696 Mio Franken erzielt. 2011 waren es noch 549 Mio Franken, 2014 wieder 659 Mio Franken, im abgelaufenen Geschäftsjahr gerade noch 551 Mio Franken. Mit anderen Worten: Das Zukunftsgeschäft der Post, das den permanenten Schwund bei PostMail kompensieren soll, trägt sieben Prozent zum Umsatz bei.

Sorry, liebe Post. Ohne Herrn Beglé wäre ich nicht darauf gekommen, diese Prüfungsfrage zu stellen. Ohne diese Prüfungsfrage hätte ich nicht jedes Jahr die Rechnung der Post unter die Lupe genommen. Ohne dies Analyse hätte ich nicht den Eindruck einer gewissen Willkür erhalten. Aber eigentlich wollte ich mich an die Medienschaffenden wenden. In Geschäftsberichten verbergen sich allerhand Geschichten, die sich bequem vom Bürostuhl aus recherchieren lassen.

Benedikt Weibel