Kolumnen von Benedikt Weibel

Hüttenleben

"Wandermagazin" 1. Dezember 201

In Alpenclub-Hütten habe ich einige Dinge fürs Leben gelernt. Mein Vater hat mir beigebracht, wie man Hörnli mit möglichst wenig Wasser kocht. (Wie Reis zubereiten: zuerst andämpfen, erst nachher Flüssigkeit beifügen.) Bruno Kohler, der leider viel zu früh nach einem Helikopterabsturz gestorbene Haslitaler Bergführer, hat uns im Bergführerkurs gelehrt, wie man für eine grössere Gruppe Suppe schöpft. (Die Schöpfkelle füllen, dann nochmals kurz in die Suppe tauchen, so kann man über den ganzen Tisch hinweg schöpfen, ohne einen Tropfen zu vergiessen.) Ich verwende die Technik noch heute und denke dabei jedes Mal an Bruno.

Das Wort „Alpenclub-Hütte“ löst unzählige Erinnerungen aus. Ich spüre den Schweiss und die Rucksackriemen bei den endlosen Aufstiegen. Ich sehe die sauber aneinandergereihten Holz-Filz-Schuhe. Ich höre uns am Hüttentisch prahlen über all die schwierigen Klettereien, die wir gemacht haben und die noch schwierigeren, die wir planen. Ich fühle die klirrende Kälte, wenn wir den Winterraum öffneten, die Freude, wenn die Temperatur in der Hütte den Gefrierpunkt erreichte, die Härte des Tisches, auf dem man schlafen musste. Ich spüre das Beissen der Wolldecken, höre das Schnarchen, rieche die Ausdünstungen im Schlafraum, weil man aus Angst vor einer grossen Tour nicht schlafen konnte. Morgens um drei Uhr die grosse Hektik, im Winterraum ist das Wasser in der Pfanne schon wieder gefroren, endlich raus aus der Hütte in die Ungemütlichkeit der dunklen Kälte bis schliesslich die ersten Sonnenstrahlen die grandiose Schönheit der Bergwelt enthüllen ...

Irgendeinmal fühlte ich mich zu alt für Hüttenromantik und Massenlager. Ich habe die Touren so ausgewählt, dass ich sie vom Tal aus in einem Tag machen konnte. Bis wir erstmals mit unseren Grosskindern eine Hüttentour gemacht haben. Zwar nur auf die Treschhütte, die den Minus-Höhenrekord aller SAC-Hütten hält. Von Gurtnellen aus kommen trotzdem 800 Höhenmeter zusammen, und das war für unsere Kleinen ganz schön fordernd. In der Hütte angekommen folgte Überraschung auf Überraschung. Die Freiwilligenbrigade empfängt uns wie im Fünfsternhotel, das Urner Stiärbier ist hervorragend. Plötzlich ist uns die kleine Julie abhanden gekommen. Trotz schönstem Wetter finden wir sie schliesslich im Hüttenraum, überglücklich spielt sie mit Barbiepuppen und einem Kinderwagen. Und: nichts mehr von Ausdünstung, man kann duschen!!! Ich muss schon sagen: Alpenclub-Hütten sind nicht mehr wie aube.

Benedikt Weibel