Kolumnen von Benedikt Weibel

Nehmt mir das Lauberhorn nicht weg

"Persönlich" 1. Februar 2018

Ab 12 Uhr 30 war am Mittagstisch nur noch das Klappern der Gabeln zu hören. Kein Kind durfte sich einen Mucks erlauben. Andächtig verfolgte die Familie die Nachrichten von Radio Beromünster. Das Echo der Zeit am Vorabend war für den Vater reserviert. Der grosse Publikumsrenner waren die Gotthelf-Hörspiele, die erst um 20 Uhr begannen, die wir zu unserem grossen Leidwesen verpassten, weil wir ins Bett gesteckt wurden. Meine Eltern hatten strikte Erziehungsgrundsätze, ein Fernseher kam, weil die Jugend verderbend, nicht ins Haus. Bis spät in die Sechzigerjahre verfolgten wir die Skirennen am Lauberhorn in einem Tea-Room. Noch heute gehört Radio SRF so unverrückbar zum Morgenessen wie die Tageszeitung. Natürlich ist das bei der Jugend anders, aber ich gehöre schliesslich zu dem am stärksten wachsenden Alterssegment. Die Landessender gehörten so unverrückbar zur Schweiz wie die Armee. Als es Max Frisch wagte, im 1974 erschienenen „Dienstbüchlein“ das Militär grundsätzlich zu kritisieren, stellte ihn die konservative Schweiz in die Nestbeschmutzer-Ecke. Acht Jahre später wurde die Gruppe „Schweiz ohne Armee GSOA“ gegründet. Ihre Initiative zur Abschaffung der Armee wurde 1989 mit 64 Prozent Nein abgelehnt. Die Armee gibt es immer noch, ihr Budget betrug im letzten Jahr 4.5 Milliarden Franken. Eine heilige Kuh ist sie nicht mehr.

Die heilige Kuh SRG lebte länger. Als in den 1990er-Jahren die Liberalisierung von Bereichen wie Telecom, Luftfahrt, Post und Bahn auf die politische Agenda gesetzt wurde, war die SRG kein Thema. Damals übrigens wurde aus dem „Öffentlichen Dienst“ ein „Service Public“, was nobler tönt, aber ebenso unscharf bleibt wie das Original. Als das Geschäftsmodell der Printmedien durch das Internet und die Social Medias innert kürzester Zeit massiv erodierten, wurde die SRG mit ihrem Gebührentopf zur Zielscheibe. Der Ersatz der Haushaltsgebühr durch eine allgemeine Abgabe war eine Steilvorlage für ihre Gegner. Das per Referendum bekämpfte Vohaben wurde am 2015 mit gerade mal 50,1 Prozent der Stimmen angenommen. Man hatte nie das Gefühl, dass die SRG darob beunruhigt gewesen wäre. Im Gegenteil. Die Schaffung der Vermarktungsfirma Admeira – einer Allianz von SRG, der Swisscom und Ringier – war eine Provokation für den Rest der Verlegerschaft. Selbstkritik und Anpassungsfähigkeit sind nicht die Stärken der SRG. Aber immerhin hat sie nie behauptet, sie sei die beste Broadcasting-Company der Welt.

Nun ist plötzlich nicht mehr vom Service Public die Rede, sondern von Staatsmedien oder gar vom Staatsfunk. Die Analogie zum 3. Reich und der DDR ist bösartig. Einst versuchten „vaterlandslose Gesellen“ die Armee abzuschaffen. Nun sind es ausgerechnet die Kreise, die den Begriff „Heimat“ für sich reklamieren, die ein Stück Heimat ersatzlos entsorgen wollen. Hoffentlich mit ebenso wenig Erfolg wie die GSOA. Damit ich die Rennen am Lauberhorn auch in Zukunft miterleben kann.

Benedikt Weibel