Kolumnen von Benedikt Weibel
Rosarot, die Farbe des Jahres 2008
"Sonntag" 28. Dezember 2008
Es ist die Saison der Ranglisten und der Awards. Wir wollen nicht abseits stehen und führen eine neue Kategorie ein: Die Farben des Jahres 2008.
Auf dem 1. Platz: Rosarot. Bis ins vierte Quartal blickten die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft sowie all die gut alimentierten Konjunkturforschungsstellen durch eine grosse rosarote Brille. Im Brustton der Überzeugung wurde verkündet, im allerschlechtesten Falle sei mit einer ganz leichten Rezession zu rechnen. Noch in der Septembersession der Eidgenössischen Räte war die Finanzkrise kaum ein Thema. In den Medien hat man mit distanziertem Interesse verfolgt, was sich in der übrigen Welt so abspielt, in der festen Gewissheit, dass wir selber einmal mehr von den Turbulenzen verschont würden. Um die Grafik mit den Bilanzsummen der Banken im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt zu entdecken, musste man den deutschen 'Spiegel' lesen. Der Balken für die Schweiz sprengte fast die Seite. Überheblichkeit und Ignoranz gipfelten in der Schlagzeile 'La crise n’existe pas'. Jetzt korrigiert man kräftig nach unten. Prognostiziert wird nach wie vor auf den Zehntel genau, obwohl klar ist, dass die heutige Wirklichkeit von keinem Modell mehr abgebildet werden kann.
Auf Platz 2: Grau. Seit wenigen Wochen kann es nicht mehr verdrängt werden: Wir sind keine Insel der Verschonten. Jetzt wird nach einer Sondersession verlangt. Im Gegensatz zu den Konjunkturforschern wissen die Unternehmungen, dass in der heutigen Volatilität kein zuverlässiges Budgets erstellt werden kann. Contingecy-Planung heisst die Lösung der Stunde oder auf gut deutsch 'Plan B' - ein Massnahmenplan für den Fall, dass die Umsätze einbrechen.
Auf Platz 3: Orange. Erinnerung an einen längst vergangenen Sommer. Drei Wochen lang regierte der Fussball. Die sonst so komplexe Welt war ganz einfach. Es gibt beim Fussball nur eine Wahrheit: Der Ball muss ins Tor. Wir haben auf rot gesetzt und sahen die Felle früh davon schwimmen. Dann kam der Einfall der Oranjes. Menschenmassen, wie sie weder Bern noch Basel je erlebt haben. Locker, fröhlich, kreativ, trinkfest, anständig auch mit mehr als 0,8 Promille. Orange steht für die Leichtigkeit des Seins und dafür, dass auch die oft so reservierten Eidgenossen leidenschaftlich, temperamentvoll und fröhlich sein können. Und wunderbare Gastgeber. Eine Berner Zeitung brachte es auf den Punkt. 'Die Euro-Tage in Bern erfüllten den Zweck des Lebens: Freude haben, Freude schenken.'
Benedikt Weibel