Kolumnen von Benedikt Weibel
Guter Journalismus
"Persönlich" 1. Mai 2017
Wenn Märkte oder Geschäftsmodelle erodieren, wird zuerst auf die Kostenbremse getreten. Das kann gut gehen, wenn versucht wird, mit weniger Aufwand ein besseres Produkt herzustellen. Das ist selten der Fall. Fast immer wird bei solchen Übungen das Produkt verschlechtert. Damit wird einer Abwärtsspirale in Gang gesetzt, die tödlich sein kann. Die Prioritäten sind glasklar: Zuerst braucht es ein gutes Produkt, das einen echten Kundennutzen erzeugt und zweitens ein Geschäftsmodell, mit dem Geld verdient wird.
In der Medienlandschaft wird kräftig spiralisiert und nicht in die gute Richtung. Deshalb sollte man sich wieder einmal darüber unterhalten, was ein gutes Produkt im Journalismus ist. Der „Spiegel“ hat mir unlängst ein Beispiel dafür geliefert. Drei Redaktoren wurden auf den Fall des neuen Flughafens Berlin BER angesetzt. Sie haben während sieben Monaten Dossiers ausgewertet und Interviews geführt. Daraus ist eine der längsten Spiegel-Geschichten geworden: „Made in Germany“, im Spiegel 34/2017, 20 Seiten lang.
Wie jeder Spiegel-Text beginnt der Artikel mit einer Geschichte. Lokführer Klaus Rühmann fährt morgens um 2.44 Uhr mit einem leeren S-Bahn Zug in den leeren Bahnhof des sich seit Jahren im Bau befindlichen leeren Berliner Flughafens. Es ist eine „Belüftungsfahrt“, damit der fertiggestellte, aber leider unbenutzte Bahnhof nicht verschimmelt. Die Reporter beschreiben den Weg vom Bahnhof in die Abflughalle: „Aber wo die Decken wären, ist alles offen, dort führen Tausende Klappen in eine Parallelwelt von bedrückender Enge, in denen sich Röhren und Stangen, Schläuche und Kabel umeinander winden wie schillernde Tiere in einem überfüllten Terrarium.“ In der Abflughalle treffen sie Prof. Dr. Ing. Lütke Daldrup. Er ist der neue Flughafenchef, „ein Posten, der in Berlin noch allen zu Kopf gestiegen ist.“. Im Interview ruft der Professor Textbausteine ab, erst als der Fotograf auftaucht, lebt er auf. „Lütke Daldrup sieht jetzt aus wie jemand, der in seiner Freizeit Rilke-Gedichte liest.“ Schlicht erschütternd ist die Infografik über die Chronik der Veränderungen. Am meisten Fett aber kriegt der ehemalige regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, ab. Dass er das Präsidium des Aufsichtsrates der Flughafengesellschaft überhaupt übernommen hat, zeugt von massloser Selbstüberschätzung. Beschrieben wird er als „ebenso herrischer wie selbstherrlicher Zerstörer, nassforsch, herablassend, hochfahrend, eitel, trotzig.“ Die Kultur im Projekt wird treffend mit „Schweigekartell“ umschrieben. „Wer normale Fragen stellt wie ein erwachsener Mensch oder einfach eine Wahrheit ausspricht, selbst wenn sie unangenehm ist, wird in Sitzungen angeschrien, beschimpft und zum Schweigen gebracht. Wer nicht gesagt hat, dass alles toll ist, wird vor versammelte Mannschaft fertiggemacht.“
Die Lektüre dieser Geschichte ersetzt mindestens ein einwöchiges Seminar über Projektmanagement. Und sie macht darüber hinaus noch richtig Spass, 20 Seiten lang.
Benedikt Weibel