Kolumnen von Benedikt Weibel
Das Prinzip Hoffnung
"Persönlich" 1. Juli 2017
Mein Lieblingszitat über Führung stammt von einem kanadischen Indianer-Häuptling., oder First Nation-Leader, wie man heute politisch korrekt sagt. „Vor allem musst du ihnen Hoffnung geben. Wenn du ihnen keine Hoffnung gibst, werden sie dir nicht folgen.“ Es ist immer wieder erstaunlich, wie einzelne Menschen, die Zuversicht ausstrahlen, die Stimmung innert kürzester Zeit drehen können. John F. Kennedy lancierte das Jahrzehnt des Aufbruchs mit seiner jugendlichen Aura und der Losung New Frontier. Barak Obama gewann die Mehrheit der Amerikaner mit mit Yes we can. Papst Franziskus die Katholiken mit einem Buonasera. Man kann von Donald Trump halten was man will, aber er hat den unzähligen Opfern des Fortschritts und der Globalisierung mit America first Hoffnung gegeben.
Das Unglaublichste aber hat sich in unserem westlichen Nachbarland abgespielt. Noch vor kurzer Zeit befand sich Frankreich in der tiefsten Depression. Der Spiegel kommentierte sarkastisch Liberté, Egalité, Fragilité. Feinde der Republik seien daran, die Macht zu übernehmen, aber in den französischen Medien werde das kommentiert wie eine Möglichkeit unter vielen, so emotionslos, als würde man die Launen des Wetters beschreiben. Es brauchte die erste Runde der Présidentiels bis sich die rechte Elite vom verbrauchten und uneinsichtigen François Filiol zu trennen vermochte und ins Lager Macrons wechselte. Das fast drei Stunden dauernde TV-Duell zwischen Macron und Le Pen spielte eine entscheidende Rolle. Le Pen war unglaublich aggressiv, Macron schenkte ihr nichts, behielt aber immer die Contenance. Als Le Pen über eine Cohabitation von Franc und Euro in Frankreich zu schwadronieren begann, gab sie ein erschreckendes Bild ökonomischer Inkompetenz ab. Die Kommentatoren waren sich einig: „Le Pen zeichnete ein düsteres Bild von Frankreich, Emmanuel Macron blickte mit Optimismus in die Zukunft.“
Nach dem überwältigenden Wahlsieg wurde der neue Präsident von seinen Anhängern im Louvre erwartet. Als es spät am Abend endlich soweit war, schritt Emmanuel Macron allein, in sich gekehrt, begleitet von den Klängen Beethovens Neunter minutenlang durch die verzweigten Gänge des Louvre bis er das Podium erreichte und seine Anhänger mit einem Bonsoir mes amies begrüsste. Seine Rede war ernst, ohne jeden Triumphalismus. Am Schluss Hühnerhaut mit der Marseillaise. Perfekte Symbolik.
Aber, meldeten sich die Zweifler in den Talkshows, er wird kein Parlament haben, das ihn unterstützt. Auch da haben sie sich gründlich getäuscht. Ja, wir wissen: je grösser die Hoffnungen, desto grösser die Enttäuschung. Wir kennen das Schicksal von Obamas Yes we can. Wir wissen, dass die Auguren in Frankreich bereits Strassenkämpfe vorhersagen. Trotzdem - es ist grossartig, dass Emmanuel Macron Frankreich die Hoffnung zurückgegeben hat. Nick Hornby hat es auf den Punkt gebracht: „Im Grunde genommen glaube ich wohl auch, dass das Leben folgenschwer und traurig, aber doch nicht bar aller Hoffnung ist.“
Benedikt Weibel