Kolumnen von Benedikt Weibel
Cool oder klug?
"SUVA Kundenmagazin" 1. April 2017
Die Heroen meiner Jugend trugen bei der Eroberung der extrem steinschlaggefährdeten Eiger-Nordwand noch Filzhüte. Anfang der Sechzigerjahre sah ich erstmals Fotos mit Kletterern, die einen Helm trugen. Das war cool. Natürlich wollte ich auch einen Helm haben. Mein damaliger Kletterpartner beschaffte mir einen Bauhelm, den ich voller Stolz trug; nun war ich wirklich "in". Bald trug ich einen wirklichen Kletterhelm, dank dem ich einen 30m-Sturz überlebte. Dann kamen die Bilder der Superkletterer aus dem Yosemite in Kalifornien und der Verdonschlucht in Frankreich. Die neuen Statussymbole waren der Hüftgürtel und der angehängte Magnesium-Beutel. Es sah ungeheuer cool aus, wie die Stars der Szene mit einem Arm an einem winzigen Griff hingen, mit nacktem Oberkörper und engen Tights, mit einer lässigen Geste ihre Hände mit Magnesium puderten, bevor sie an der aalglatten Wand hochstiegen. Ihre langen Haare wehten im Wind, einen Helm trugen sie nicht. Keinen Helm zu tragen, war cool. Natürlich wollte ich auch cool sein und machte die neue Mode mit. Aber nicht lange. Es war eine ganz rationale Überlegung, die mich zu Entscheid führte, nur noch mit Helm zu klettern. Ich war mir bewusst, dass mein Kopf mein wichtigstes Instrument in allen Lebenslagen ist. Also schütze ich ihn so weit wie möglich.
Ich bin auch Velofahrer. Beim Velofahren ist die Coolness kein Grund, keinen Helm zu tragen, aber die Bequemlichkeit. Bei Velofahrerinnen gibt es noch ein anderes starkes Argument gegen einen Helm: Er ruiniert die Frisur. Nur: Meine rationale Überlegung ist beim Velofahren noch viel wichtiger als beim Klettern. Rein statistisch. Weil ich viel mehr velofahre als klettere. Deshalb habe ich mir angewöhnt, keinen Meter mehr ohne Helm zu fahren. Mittlerweile bin ich mit dem Velo fast ebenso oft gestürzt wie im Fels und Eis. Dank meinem Helm bin ich immer noch in der Lage, Kolumnen zu schreiben.
Benedikt Weibel