Kolumnen von Benedikt Weibel
Freiheit
"Wandermagazin SCHWEIZ" 1. April 2017
Mit der Freiheit ist es wie mit der Gesundheit; ihr Wert wird erst erkannt, wenn wir sie nicht mehr haben. Wir leben schon so lange in Freiheit, dass wir sie kaum mehr wahrnehmen. Sie ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Am 1. August wird sie von den Rednerinnen und Rednern noch gepriesen, aber diese Beschwörung ist zum Ritual geworden, das keine Emotionen mehr auslöst. Und doch, manchmal ist es plötzlich da, dieses Gefühl von Freiheit. Ich habe eine berührende Geschichte einer grossen Journalistin gelesen, in der sie von ihrer Jugend berichtet. Sie beschreibt dieses intensive Gefühl von Freiheit, wenn sie mit ihrem Freund mit dem Zelt unterwegs war. Als ich mit meiner Frau mit dem Velo von Istanbul nach Bern gefahren bin, haben wir es auch gespürt. Wir hatten keinen Plan, nur rudimentäres Kartenmaterial und sind jeden Tag einfach losgefahren. Und plötzlich, an einem Abend vor diesem wunderbar kühlen Bier, haben wir von der Freiheit gesprochen, die wir beide verspürt haben. Dieses Gefühl, nur von uns selber abhängig zu sein.
In den Bergen habe ich es auch hin und wieder gespürt. Wie damals, als wir am Klettern waren, hoch über dem Einstieg, als plötzlich der Wind aufkam und sich ein Gewitter ankündigte. Sofort begannen wir mit dem Abseilen. Der Wind wehte die Seile fast waagrecht in die Luft, die Finger wurden klamm vom Regen, es blitzte und donnerte. Plötzlich war es da, dieses Gefühl, frei zu sein. Deshalb wohl, ist Outdoor so attraktiv. Es verspricht dieses Freiheitsgefühl und manchmal stellt es sich auch wirklich ein. Wenn wir unsere durchreglementierte Welt verlassen und uns in der Natur den Launen von Wind und Wetter aussetzen, finden wir Emotionen, die im Alltag längst entschwunden sind. Von den Briten sagt man, dass sie erst unter widrigen Umständen zur Höchstform auflaufen. Auch im Wandern. Das mache erst so richtig Spass, wenn man durchnässt und mit Schlamm verschmiert sei.
Benedikt Weibel