Kolumnen von Benedikt Weibel

Der Tourismus in der Abseitsfalle

"Persönlich" 1. April 2017

Vor elf Jahren hat das NZZ Folio einen Artikel über das Image der Schweiz publiziert. Die Bewertung erfolgte aufgrund von 19 Eigenschaften wie zuverlässig, freundlich, fröhlich, leidenschaftlich. Die Umfrage wurde in Deutschland und in der Schweiz durchgeführt, was einen Vergleich des Fremdbildes mit einem Eigenbild ermöglichte. Das Ergebnis war nicht überraschend. Am besten bewertet wurde die Zuverlässigkeit, im unteren Drittel finden sich die Werte wie Freundlichkeit und Leidenschaft. Der Befund ist eindeutig: wir sind bei den "kalten" Kriterien ebenso stark, wie wir bei den "warmen" schwach sind. Erstaunlicherweise wird dieses Urteil in der Eigenbeurteilung noch verstärkt: wir selber halten uns als noch zuverlässiger als die Deutschen. Aber auch als wesentlich unfreundlicher und schon gar nicht als charmant.

Der Kommentar dazu war eindeutig: „Die Schweiz ist zuverlässig, hochwertig, aber nicht emotional – und die Preisschraube ist überdreht.“ Der Schweizer Franken, notabene, war damals für 65 Eurocents zu haben.

Als ich 2007 als Delegierter des Bundesrates für die Fussball-Europameisterschaft 2008 zu wirken begann, habe ich mich an den Folio-Artikel erinnert. Er war ein entscheidender Input für unser Gastgeberkonzept. Da wurden gut 80'000 Mitarbeitende der Servicekette durch einen zweistündigen Crashkurs geschickt. Wir wollten ihnen drei Dinge beibringen: Kenntnis der EURO - Standorte und -Events, Kenntnis der Sehenswürdigkeiten der Stadt und eine Verhaltensweise: gehen Sie aktiv und mit einem Lächeln auf die Gäste zu. Letzteres haben die Medien übrigens mit viel Häme kommentiert. Um den Effekt unseres Programmes zu messen, liessen wir die gleichen 19 Eigenschaften in sechs Ländern vor und nach dem Anlass messen. Es zeigte sich, dass bei einigen Items signifikante Verbesserungen eingetreten waren. Erstaunlicherweise konnte der bereits sehr hohe Wert für die Zuverlässigkeit noch gesteigert werden. Zu unserer Freude wurden insbesondere die Werte für die Freundlichkeit und Leidenschaft signifikant besser beurteilt. Damit ist der Beweis erbracht. Man kann Images verändern, wenn man etwas dafür tut.

Wir haben seinerzeit den Verantwortlichen von Schweiz Tourismus empfohlen, diese Messung jährlich zu wiederholen. Ich bin immer noch überzeugt, dass man damit einen Prozess der permanenten Qualitätsverbesserung hätte in Gang setzen können. Man hat es nicht für nötig befunden. Der EURO 08 - Effekt ist damit ein Strohfeuer geblieben. In der generellen Gastgeberqualität hat sich nichts Entscheidendes verändert. Nur dass jetzt ein Schweizer Franken fast ein Euro kostet. Und nun steht der Tourismus mit dem Rücken an der Wand. Schon vor der tektonischen Währungsverschiebung haben namhafte Vertreter der Branche eine Strukturbereinigung als unabdingbar bezeichnet. Jetzt ist sie unausweichlich. Hoffen wir, dass dieser Druck dazu führt, dass wir in Zukunft als Gastgeber mit Herz wahrgenommen werden.

Benedikt Weibel