Kolumnen von Benedikt Weibel
Komfortzone
"Persönlich" 1. Februar 2017
Ich habe das Buch von Peter Rothenbühler „Frösche küssen – Kröten schlucken“ gelesen, ein amüsanter Streifzug durch fünfzig Jahre Mediengeschichte. Eine unscheinbare Passage hat mich zur Reflexion angeregt. Rothenbühler beschreibt seinen Wechsel von Ringier zu Schawinski. Bei Ringier arbeite man in der Komfortzone, in einem „Medienhaus mit einer Club-Méditerranée- Stimmung“. Ganz anders bei Schawinski. Da herrsche eine Kultur des Start-up- Unternehmens, „wo es summt wie im Bienenhaus, die Mitarbeiter schnell durch die Korridore hasten und im Durchschnitt viel leisten.“ Büroraum sei knapp, Schawinski habe als einer der Ersten flexible Arbeitsplätze eingeführt. Trotz enger finanzieller Mittel, dauerndem Druck und hohem Arbeitsrhythmus sei die Stimmung gut. Da werde mit hoher Motivation und Leidenschaft gearbeitet. Dann kommt dieser Satz: „Ich ahnte, dass die Zukunft so aussieht.“
Man kann aus dieser kleinen Geschichte viel herauslesen. Es ist vor allem die Kultur, die grosse Organisationen von Start-up- Unternehmen unterscheidet. Die Komfortzone führt unweigerlich zu einer trägen Kultur. Trotz spartanischer Arbeitsbedingungen und viel Druck sind Motivation und Leidenschaft in der kleinen Einheit ausgeprägter. Da ist man zur Agilität gezwungen.
Wir wissen, dass die Zukunft Verwerfungen bringt, die kaum einen Bereich - ob gross oder klein - aussparen wird. Wir wissen nicht, wann was passieren wird. Deshalb gibt es nur eine Devise: die Antennen ausfahren, Versuch und Irrtum, beweglich sein – agil eben. Für einmal ein Modewort, dass Substanz hat. Deshalb hat es Rothenbühler richtig geahnt: das ist die Zukunft.
Grossunternehmungen sind Moloche, die übergewichtigen Menschen gleichen. Es sammelt sich Fett an, man baut neue Verwaltungsgebäude, die Stäbe wuchern. Wie der „Spiegel“ über Siemens schreibt: „Entscheidungen werden über endlose Zuständigkeitsketten von unten nach oben verlagert, um dann oft nicht inhaltlich, sondern politisch getroffen zu werden. Das führt zu struktureller Verantwortungslosigkeit, im Fall von Siemens gepaart mit einem bürokratischen Überbau, der inzwischen schon sprichwörtlich ist.“ Es ist wie bei übergewichtigen Menschen, die zu Jahresbeginn den Vorsatz fassen, abzunehmen. Die neue Diät zeitigt Anfangserfolge, dann geht das Gewicht wieder nach oben. Dieser Jojo-Effekt spielt auch bei den Moloch-Unternehmungen. Alle paar Jahre verkünden sie martialische Kostensenkungsprogramme, bevor sie ihre Stäbe wieder wuchern lassen.
Jack Welch, zwanzig Jahre CEO von General Electric und „Manager des 20. Jahrhunderts“, hatte ein Credo: Man muss die Vorteile der Grossunternehmung nutzen, aber gleichzeitig die Beweglichkeit und Kundennähe des Ladens um die Ecke bewahren. Das ist heute noch wichtiger als zu Welch's Zeiten. Der Weg zu diesem Ideal ist ohne konsequente Dezentralisierung nicht zu machen. Man hat nicht den Eindruck, dass es die Moloche gecheckt haben.
Benedikt Weibel