Kolumnen von Benedikt Weibel
Rote Socken
"Wandermagazin SCHWEIZ" 1. Januar 2017
Wandern ist die beliebteste Freizeitaktivität. Wandern ist, meint der Sportsoziologe, ein Megatrend. Wandern habe sein altbackenes Image abgelegt. Es werde nicht mehr mit älteren Herren in Knickerbockers und roten Socken assoziiert.
Das hat mich getroffen. Als ich begann, in die Berge zu ziehen, war alles grau und beige. Man trug Knickerbocker aus Manchester oder Loden. Die Kniesocken grau. Vaters klobige Militärschuhe an den Füssen. Dann kam die junge Avantgarde und setzte mit roten Socken einen Farbtupfer. Ich gehörte dazu, und es war wie später mit den ersten langen Haaren oder noch später, als plötzlich diese farbigen Krawatten mit Blumenmustern oder Elefanten modern wurden. Es war ein erhebendes Gefühl, wenn man die verstohlenen anerkennenden oder missbilligenden Blicke spürte. Wir waren die Frontrunner!
Jede Mode hat den gleichen Zyklus: Avantgarde, Masse, Nachzügler. Es gibt sie ja immer noch, wenn auch selten, die Männer mit Sonnenblumen-Krawatten. Die Blicke, die man ihnen schenkt sind nur noch mitleidig. Als die roten Socken zum Massengeschmack geworden waren, waren wir modisch längst weitergezogen. Nun gingen wir mit Jeans wandern, klettern und skifahren. Im Bergführerkurs war das nicht gerne gesehen, die Jeans wurden kurzerhand verboten (auch die langen Haare).
Manchmal muss man nur genügend lange warten, und ein Trend kommt wieder zurück. Nicht die roten Socken, behüte uns! Aber diese riesigen Daunenjacken, die vor einem halben Jahrhundert plötzlich zum letzten Schrei der Szene wurden. Sie waren so teuer, dass ich sie mir nicht leisten konnte. Ich bin meiner Grossmutter noch heute dankbar, dass sie mir eine brandrote Lionel Terray - Jacke zu Weihnachten schenkte. Es konnte noch so warm sein, wir trugen die Jacke in der Hütte über dem nackten Oberkörper. Und genossen das Avantgarde- Gefühl. Nun sind Daunenjacken wieder in. Meine Lionel Terray besitze ich immer noch.
Benedikt Weibel