Kolumnen von Benedikt Weibel
Die Angst und die Angshasen
"Sonntag" 30. November 2008
König Gustav II von Schweden wollte das stärkste Kriegsschiff der Welt besitzen. Er befahl seinem Schiffsbaumeister, ein zusätzliches Deck mit Kanonen einzubauen. Dem Schiffsbaumeister war klar, dass sich damit der Schwerpunkt des Schiffes so ungünstig verschieben würde, dass es nicht mehr schwimmfähig war. Er wagte es aber nicht, dem König die Wahrheit zu sagen und baute das Schiff wie befohlen. Am 10. August 1628 stach die Vasa in See, neigte sich sanft, geriet in bedrohliche Schräglage und versank nach nur 20 Minuten in den Fluten.
Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute. Und haben immer noch Angst, die Wahrheit zu sagen. Der König heisst heute CEO, sein Befehl 25 % Return on Equtiy. Die Devise ist anything goes. Der Druck gegen unten ist gross. Am meisten leiden die Führungskräfte auf unteren und mittleren Ebenen. Denn sie spüren den Druck auch von unten. Und deshalb haben sie oft Angst und leiten schlechte Nachrichten nicht weiter.
Es ist noch nicht so lange her, da wurde Angst ohne Skrupel als Führungsinstrument eingesetzt. Wer im ersten Weltkrieg nicht aus dem Schützengraben stürmte, wurde von den eigenen Leuten erschossen. Mit Angst wird heute subtiler gespielt, etwa wenn mit Entlassungen gedroht wird. Damit wird nicht nur Angst erzeugt, man züchtet auch Angsthasen.
Ich hatte neulich ein Gespräch mit Bankern. Bei aller Loyalität war erkennbar, dass sie sich von ihren Chefs allein gelassen fühlen. Und dass sie schon lange spüren, dass gewisse Dinge aus dem Ruder laufen. Aber niemand hat ihnen zugehört und ihre Meldungen sind in der Hierarchie versickert.
Wer das Vasa Syndrom vermeiden will, muss die Ziele so setzen, dass sie anspruchvoll, aber mit vernünftigem Mitteleinsatz erreichbar sind. Er muss Wege finden, um die Filter, welche die schlechten Nachrichten zurückhalten, auszuschalten. Schwierig ist das nicht. Man muss nur zu den Mitarbeitenden "an der Front" gehen und ihnen zuhören. Diese Frauen und Männer haben Kontakt mit den Kunden. Sie spüren, wenn die internen Abläufe nicht mehr spielen. Sie schätzen es enorm, wenn ihre Chefs zuhören. Das motiviert sie gerade in schwierigen Zeiten, ihr Bestes zu geben.
Dank König Gustav II kann die Vasa heute in einem Museum in Stockholm besichtigt werden. Es ist das wohl besterhaltene Kriegsschiff aus der damaligen Zeit, weil es in den langen Jahren im Salzwasser wunderbar konserviert blieb.
Benedikt Weibel