Kolumnen von Benedikt Weibel
Nullwachstum?
"Persönlich" 1. September 2016
Vor über vierzig Jahren wurde die vom Club of Rome in Auftrag gegebene Studie „Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht. Mit Hilfe von Systemanalysen und Computersimulationen wurden verschiedene Szenarien durchgespielt. Die Untersuchungen führten zum Schluss, dass die absolute Wachstumsgrenze innert hundert Jahren erreicht wird.
Die Thesen des Club of Rome gelten längst als widerlegt und es gibt heute einen breiten Konsens, dass Wachstum für die Verbesserung des Lebensstandards in einer globalen Welt mit einer wachsenden und immer älter werdenden Bevölkerung unabdingbar ist. Nun befinden wir uns in einer digitalen Revolution, die, so möchte man meinen, für eine schubartige Erhöhung der Produktivität und Wachstum sorgt. Seit zehn Jahren sinkt aber das Produktivitätswachstum in den Industrieländern und es gibt keine Anzeichen, dass sich das ändert. Gemäss einem 2014 erschienenen Bericht der OECD verlangsamt sich das Wachstum in den nächsten fünfzig Jahren. Gegen die Jahrtausendmitte, so das Szenario der OECD, wird das globale Wachstum deutlich unter drei Prozent sinken.
Es ist paradox. Das Bildungsniveau steigt und der technologische Wandel ist enorm. Warum sinkt denn das Produktivitätswachstum? Gewisse Ökonomen vermuten, dass das Wachstumspotenzial der Informationstechnologie überschätzt werde, im Vergleich dazu sei das Potenzial früherer Innovationsschübe grösser gewesen. „Was ist eine Virtual-Reality- Brille im Vergleich zu einer Glühbirne?“, so die rhetorische Frage des amerikanischen Ökonomen Robert Gordon. In die gleiche Kerbe schlägt die NZZ: „Immer moderner – immer nutzloser?“. Eine andere These geht davon aus, dass der Dienstleistungssektor immer gewichtiger wird und dort die Arbeitsproduktivität wesentlich geringer ist als in der Industrie. Eine weitere Deutung geht vom Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ aus. Die ist nach dem Ökonomen Joseph Schumpeter zentrales Element des kapitalistischen Systems und beruht auf fundamentalen Veränderungen der Wirtschaftsstruktur. Ausgelöst werden diese Transformationen von Innovationsschüben. Deshalb, so Schumpeter, seien Konjunkturzyklen unabwendbar. Schumpeter geht davon aus, dass die Produktivität der Wirtschaft nach einer Übergangszeit wieder zunimmt, deshalb ist die Zerstörung eine „schöpferische“. Nun gibt es allerdings Anzeichen, dass die Digitalisierung Märkte nicht nur neu ordnet, sondern auch die Wertschöpfung ganzer Branchen zerstört. So geschehen im Musikmarkt, so im Gange im Medienmarkt, so die Anzeichen im Tourismusmarkt.
Deshalb kommt Paul Mason in seinem Buch „Postkapitalismus“ zum Schluss: „Es tauchen immer mehr Belege dafür auf, dass sich die Informationstechnologie keineswegs als Grundlage für einen neuen Kapitalismus eignet. Ganz im Gegenteil: Sie löst ihn auf. Sie zersetzt die Marktmechanismen, höhlt Eigentumsrechte aus und zerstört die Beziehung zwischen Einkommen und Profit.“ Schon der Gedanke, dass Innovation nur noch zerstörerisch sein könnte, ist alarmierend.
Benedikt Weibel